Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
aus der Zeit. In der Nacht habe ich genäht, wie ein altes graues Weib, an meinem schönen schwarzen Umhang. Musste irgendwann lachen. Wusste nicht, worüber. Über alles. Jo.
Mari rief an. In der Nacht.
Mari ruft an. Jetzt.
Ich frage mich
– what the fuck
– was das soll.
Bimmel, bammel. Einmal, zweimal, dreimal. Viermal. Fünfmal. Ich ignoriere das BIMMELN und den FRAGENDEN Blick der Bedienerin und schaue am Telefon vorbei aus dem FENSTER , und dann ist das TELEFON still, dann ist Sense, dann ist das Ding aus und Ruhe, und der Kaffee schmeckt lecker nach nichts.
MAI
39
Kirsti Ekholm saß bequem in einem neuen Fernsehstudio, in einem weinroten Sessel, neben fremden Menschen, in einer fremden Welt, die sie selbst geschaffen hatte.
Das Orange war perfekt. Das Blau auch. Das Orange warm, das Blau glasklar. Oder umgekehrt. Sie war sich nicht mehr ganz sicher, sie sah nur, dass es perfekt war. Mit Ausnahme des weinroten Sessels, der ursprünglich weiß hatte sein sollen, aber die Redaktion hatte sich über ihren Entwurf hinweggesetzt, hatte aus Weiß Weinrot gemacht, hatte ihre Welt infrage gestellt und schließlich ad absurdum geführt, auf den Kopf gestellt, denn Weinrot hatte mit Weiß nichts zu tun, nicht das Geringste.
Sie spürte ein Lächeln auf ihrem Gesicht, das sich anfühlte wie ein Fremdkörper auf der Oberfläche ihrer Haut, und einer der Bühnenarbeiter, der pfeifend und summend den samtweichen Teppich verlegte, fragte sie, worüber sie sich amüsiere.
Sie sah ihn an, sympathisch sah er aus mit seinem lustigen Lockenkopf, unbeschwert.
»Ich weiß nicht«, sagte sie.
Er nickte, und sie schüttelte den Kopf und kämpfte gegen den Impuls an, zu weinen. Es war derselbe kurze und erfolgreiche Kampf, den sie immer kämpfte, wenn Menschen in der Nähe waren. Sie weinte nur, wenn sie allein war.
Der Bühnenarbeiter hatte sich abgewendet, summte wieder ein Lied und konzentrierte sich auf den Teppich, der so weinrot war wie die Sessel. Es war dasselbe Weinrot, und dieses Weinrot war immerhin ein Kernelement ihres ersten Entwurfs gewesen. Weinrot der Teppich, weiß die Sessel.
Das Telefon klingelte, eine Melodie, die an einen Slapstick-Cartoon erinnerte und die Anna auf ihrem Handy eingerichtet hatte, vor wenigen Wochen erst. Sie unterbrach die Melodie, schnitt sie ab, indem sie das Gespräch annahm. Lasse, am anderen Ende der Leitung, schwieg.
»Lasse?«, sagte sie.
»Ja, hallo. Ich bin jetzt hier … am Überlegen …«
Sie wartete.
»… also … hallo?«
»Ja, Lasse. Ich höre dich.«
» Also … ich dachte … wenn du vielleicht doch noch …«
»Was ist, Lasse? Was willst du mir sagen?«
»Ich bin hier bei dem …«
»Sprich deutlich, Lasse. Kurze Sätze, angereichert mit Informationen.«
Er schwieg, und sie dachte, dass sie so nie mit ihm geredet hatte. Sie hatte nie mit irgendwem so geredet, und sie sprach mit Lasse wie mit einem anderen Menschen, einem Menschen, der nicht Lasse war.
»Ich bin jetzt hier …«, sagte er. »In diesem … Laden und rede gerade mit dem Mann wegen der organisatorischen Sachen … und über das Material und die Farbe und so weiter … für den Sarg.«
Weinrot, dachte sie.
»Kirsti?«
Sie wartete.
»Kommst du … noch dazu, oder soll ich das …?«
»Nein«, sagte sie.
»Ich fahre dann noch zu Frau Seppälä… der Pfarrerin … wir wollen besprechen, was sie sagen wird … möchtest du …«
»Nein«, sagte Kirsti Ekholm.
»Ich meine, möchtest du …«
»Nein«, sagte sie.
»Aber …«
»Bis später, Lasse. Ich muss hier weitermachen.«
Sie unterbrach die Verbindung und sah dem jungen Mann zu, der, Melodien summend, den Teppich verlegte. Einige Meter entfernt sprach Mariella, ihre Partnerin aus dem Designerstudio, mit der Redaktionsleiterin. Sie sprachen mit gedämpften Stimmen, vielleicht über das neue Studio, über die Kulisse, in der sie standen, und in dem schon bald eine Moderatorin ihre Gäste begrüßen würde. Oder sie sprachen über sie, Kirsti, vielleicht teilte Mariella der Redaktionsleiterin gerade mit, dass ihre Kollegin, Kirsti Ekholm, ein Unglück erlebt, ein Kind verloren habe. Ja. Eine Tochter. Ja. Elf Jahre alt, oder zwölf? In jedem Fall jung, ein bezauberndes Mädchen. Ja, ein Unfall. Ja, schrecklich. Traurig.
Sie dachte an Lasse, der für einige Stunden das Krankenhaus verlassen hatte, mit gebrochenen Rippen und gegen den Rat der Ärzte, um mit einem Mann über die Beschaffenheit eines Sarges und mit einer Frau über
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