Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Seppo auf den Bildschirmen, aus Helsinki zugeschaltet, zur spätabendlichen Telefonkonferenz.
»Ein herzliches Hallo an alle«, sagte Westerberg, müde, in Wirklichkeit also hellwach, wie immer, und Joentaa freute sich, die beiden mal wieder zu sehen, wenn auch nur kurz, denn nach Sekunden brach die Verbindung ab, die Bildschirme wurden schwarz, und Grönholm runzelte die Stirn. Nach Sekunden war Westerbergs Gesicht wieder da, und Seppos Stimme im Hintergrund.
»Hab’s gleich, Leute, Moment noch«, sagte Seppo, und Westerberg schüttelte den Kopf und lächelte milde und wissend, und auch Joentaa begann zu lächeln, denn er erinnerte sich daran, wie wenig der Leiter des Morddezernats in Helsinki, Marko Westerberg, an technischen Firlefanz wie etwa das Internet glaubte.
»Moment, Moment. Jetzt«, sagte Seppo, und dann stand tatsächlich die Verbindung, als sei sie nie anders als stabil gewesen.
»Ha!«, sagte Seppo, und Marko Westerberg sagte noch einmal:
»Ein herzliches Hallo an alle.«
»Grüß dich, Marko«, sagte Sundström. »Schön, dass das klappt.«
»Hm«, sagte Westerberg und begann, die Situation zu skizzieren, den Stand der Dinge nach den ersten Tagen einer Ermittlung, die wenig erbracht hatte.
Eine tote Frau, auf Basis der ersten gerichtsmedizinischen Daten vermutlich noch keine zwanzig Jahre alt, ein toter Mann, vierzig bis fünfundvierzig. Herkunft unbekannt, Identität ungeklärt. Die Frau hatte in einem Bordell gearbeitet, der Mann hatte sie hingefahren und als ihr Freund gegolten. Die Frau war angeblich meistens fröhlich gewesen, der Mann schweigsam.
Der einzige konkrete Hinweis, ein weißer Mercedes älteren Baujahrs, erwies sich als Sackgasse, das Fahrzeug war Wochen zuvor als gestohlen gemeldet worden, entwendet auf dem Parkplatz eines Supermarkts, der immerhin videoüberwacht gewesen war.
»Wir haben uns die Aufnahmen angesehen«, sagte Westerberg. »Der Mann braucht etwa eine Minute, um in den Wagen reinzukommen und ihn kurzzuschließen. Die Entfernung zwischen Kamera und Parkplatz ist recht groß, aber es könnte unser Toter sein. Was uns nicht viel weiterbringt, wir wissen jetzt, dass der Mann auch Autos klauen konnte. Und wir können als möglichen Wohn- oder Aufenthaltsort der Toten Oulunkylä in Betracht ziehen, denn dort ist der Supermarkt.«
»Was aber zunächst eher verwirrend als nachvollziehbar ist und den räumlichen Fokus weiter erschwert«, ergänzte Seppo. »Weil Oulunkylä im nördlichen Großraum Helsinkis liegt und die Leichen in einem Park am Meer, im südlichen Großraum gefunden wurden.«
»Verstehe«, sagte Sundström.
Entfernungen, dachte Joentaa. Das Krankenhaus weit entfernt von dem Haus, in dem Lasse Ekholm wohnte. Der Supermarkt weit entfernt von dem Park, in dem die Toten gefunden worden waren. Und …
»Warum eigentlich Salo?«, sagte er.
»Was meinst du?«, fragte Westerberg, sein Gesicht doch wieder ein wenig flackernd auf dem Bildschirm.
»Warum Salo?«, sagte Joentaa. »Angenommen, die Frau hat in Helsinki gelebt. Dafür spricht, dass der Wagen, mit dem sie und ihr Freund unterwegs waren, in Helsinki gestohlen wurde. Aber warum hat sie dann in einem Club in Salo gearbeitet? Mehr als hundert Kilometer entfernt von Helsinki?«
»Hm«, sagte Westerberg.
»Oder die beiden haben doch in Salo oder Turku gelebt? Und waren nur ab und zu aus Gründen, die wir noch nicht kennen, in Helsinki?«, sagte Seppo.
»Die Frau hat wohl einige Male in dem Club in Salo übernachtet, aber oft ist sie von ihrem Freund abgeholt worden«, sagte Sundström. »Wobei auffällig ist, dass sie nicht, wie die anderen Damen, immer bis spät in die Nacht gearbeitet hat, sondern vergleichsweise häufig nur bis zum frühen Abend. Einige der Kolleginnen hat das gewundert, weil eigentlich in den Abend- und Nachtstunden der Umsatz gut ist.«
»Also nächste Frage: Warum verzichtet sie so häufig darauf, in der umsatzstarken Zeit zu arbeiten?«, sagte Seppo.
Grönholm nickte. »Die zweite Auffälligkeit, die sich bislang aus den Gesprächen herauskristallisiert, ist, dass die beiden offensichtlich nicht mit der Szene vernetzt waren«, sagte er. »Sie waren einfach plötzlich da. Der Mann hat den Eindruck vermittelt, sich im Gewerbe gut auszukennen, aber gekannt hat ihn nach jetzigem Stand keiner.«
»Vorausgesetzt, wir können den Aussagen trauen, was natürlich ein wenig fraglich ist«, sagte Sundström. »Wir stoßen in den Vernehmungen häufig auf die erwartete Abwehrhaltung.
Weitere Kostenlose Bücher