Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
den großen Mann, der nicht ins Bild gehört.
Sie öffnet noch den Mund, um etwas zu sagen, er möchte ihr zuhören, aber sie kommt nicht mehr dazu, die Worte auszusprechen, die alles erklären, weil sich der Schuss bereits gelöst hat. Ein vergleichsweise lautes, aber irgendwie auch belangloses Geräusch, das nicht echt wirkt und sich insofern gut in die Situation einfügt.
Réka stirbt, und der große Mann beginnt, auf eine Weise zu atmen, die Jarkko Falk noch nie gehört hat. Der Mann duckt sich weg, weicht zurück wie ein Tier, das den Schutz einer Höhle sucht, aber es gibt keinen Schutz in dieser klaren, neuen, weißen Wohnung, und den Schuss, den Jarkko Falk auf den Mann abfeuert, spürt er kaum, weil er nur Teil eines Traums ist, der endlich enden soll.
Das denkt er, als er die Wohnung verlässt. Dass dieser Traum endlich enden soll. Der Morgen soll kommen, der Wecker soll klingeln. Am Mittag möchte er mit Réka telefonieren, ihre Stimme hören, fragen, wie es ihr geht.
Eine Schusswaffe zu reinigen, mit einem Tuch gründlich abzuwischen und in einen See zu werfen, der viele Kilometer entfernt ist von dem Ort, an dem die Waffe zuletzt verwendet wurde, ist sicher nicht originell, aber logisch. Jarkko Falk findet keine Lücke in dieser Vorgehensweise. Nicht die Logik weist eine Lücke auf, nur die Erinnerung. Und die Geschichte an sich. Wie soll er die Geschichte begreifen, wenn er nur seine eigene Perspektive sehen kann?
Er stellt sich vor, die Waffe in den See zu werfen und zu gehen, und er denkt darüber nach, wie er den leeren Raum füllen soll, in den seine Gedanken fallen, seitdem Réka nicht mehr da ist, um sie aufzufangen.
DRITTER TEIL
JUNI
50
Der Frühling fiel nicht aus, aber er blieb auch nicht lang, und als Markus Sedin am 30. Juni im Konferenzsaal über den Dächern von Helsinki saß und mit zwei belgischen Bankern und einem gut aufgelegten Bergenheim Modalitäten der anstehenden Fusion beratschlagte, prognostizierte der Wetterbericht den heißesten Tag des bisherigen Jahres.
Das hatte Ville gesagt, am Morgen, bevor er zur Schule gegangen war, müde, aber gut informiert, Cornflakes essend. »Der heißeste Tag«, hatte Ville gesagt. »Und kälter soll es die ganze Woche nicht werden.«
Der OptiRent hatte angezogen, die Krise der Firma Kesken OY war vorübergegangen, ohne im Fondsmanagement der Norda-Bank bleibende Schäden zu hinterlassen, und der Himmel war wolkenlos. Sedin stand auf, als hinter den Glaswänden ein Flugzeug den blauen Himmel in zwei Teile schnitt.
»Alles klar, Markus?«, fragte Bergenheim.
»Ja, entschuldige … ich muss … kurz … bin gleich wieder da.«
Er lief, die Blicke der drei anderen in seinem Rücken spürend, über den weichen, sauberen Teppichboden zum Aufzug. Er fuhr nach unten und steuerte auf den Ausgang zu, hinter dem eine unnatürlich helle, lebendige Welt zu warten schien. Der Mann am Empfang nickte ihm grüßend zu, er erwiderte.
Wärme umfing ihn, laute, heitere Stimmen, als er ins Freie trat, im Brunnen auf dem Vorplatz plantschten Kinder, und über den Rasensprengern, die die große Parkfläche hinter dem Bankenturm bewässerten, schimmerte ein Regenbogen. Der Verkehrslärm wirkte gedämpft, beruhigt, verlangsamt unter der Sonnenglocke, sein Wagen stand unversehrt auf dem reservierten Parkplatz.
Er stieg ein und fuhr los, durch die Stadt, er hielt sich an das grüne Schild, das zur Autobahn führte, dann war er allein, auf der breiten, leeren Straße, auf einem Weg, den er kannte. Erst ganz am Ende, als er fast angekommen war, begann er zu suchen.
Er nahm das Smartphone, öffnete die Suchmaske und tippte Begriffe ein, die nur darauf gewartet hatten, eingetippt zu werden, Worte, die ihn schnell ans Ziel führen würden. Mädchen, elf, Unfall, Turku, Beerdigung.
Den Text, der auf dem Display flimmerte, hatte der Mitarbeiter einer Lokalzeitung geschrieben, vor einiger Zeit, er war auf der Homepage der Zeitung unter Lokales/Panorama archiviert. Ein angenehm nüchterner Text, nachrichtlich gehalten, der vermeldete, dass Anna E. begraben und der Verursacher des Unfalls, der sich am Abend des ersten Mai ereignet hatte, noch nicht ermittelt worden war. Der Journalist hatte nicht versäumt, die Straße zu nennen, in der der Friedhof zu finden war, und das Foto dieses Friedhofs, das den Artikel illustrierte, entsprach dem Bild, das Sedin sah, als er ankam.
Eine von hohen Bäumen umgebene, weitläufige Anlage, die Bäume schienen sich schützend,
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