Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
groß bin.
MAI
47
Als Joentaa nach Hause kam, brannte das Licht, das er am Morgen eingeschaltet hatte. Larissa war nicht da.
Er setzte sich ins Wohnzimmer, auf das Sofa, auf dem sie immer saß, an den Tagen, an denen sie zurückkehrte, und wenn er dann am Abend in der Tür stand, glücklich, erleichtert, sie wiederzusehen, und fragte, wie ihr Tag gewesen sei, begann sie zu lachen.
Er betrachtete den See hinter der Fensterwand, den See, in dem Sanna geschwommen war, im Sommer vor ihrem Tod, und auf dem Larissa Eishockey gespielt hatte, im vergangenen Winter, mit den Kindern aus der Nachbarschaft. Er dachte an Anna, die auch Eishockey gespielt hatte, am Abend ihres Todes. An Lasse Ekholm, der wie in Trance am Grab seiner Tochter gestanden hatte, an Kirsti Ekholm, die nicht zur Beerdigung gekommen war.
Er erinnerte sich an Sannas Beerdigung, die Jahre zurücklag, an einen Tag, der an ihm vorübergeglitten war, so wie der heutige Tag an Lasse Ekholm vorübergeglitten war, am Ende war Joentaa nach Hause gelaufen, daran erinnerte er sich, an diesen langen Fußmarsch, alles andere war wie in Nebel gehüllt.
Er nahm den Laptop und loggte sich in seine Mail-Accounts ein, zunächst in den privaten, dann in den dienstlichen. Keine Nachricht von veryhotlarissa@pagemails. fi, stattdessen eine von Westerberg aus Helsinki, der ihm zur Kenntnis die Fotos geschickt hatte und den Text der Pressestelle, der am kommenden Tag auf den Websites der Polizeidienststellen in Helsinki und Turku veröffentlicht werden sollte. Joentaa lehnte sich ein wenig zurück und begann zu lesen.
Tötungsdelikt zum Nachteil von zwei nicht identifizierten Personen in Helsinki, Vuosaari; ungeklärt ist die Auffindung von zwei Leichen, einem Mann und einer Frau, in einem Park in Vuosaari, Rannankatu. Eine Nachfrage der Vermisstenfälle im osteuropäischen Ausland hat zunächst keine Erkenntnisse erbracht, ersten Ermittlungen zufolge stammt der Mann aus Rumänien, die Frau aus Ungarn, möglicherweise sind demnach beide Personen bezüglich ihrer Herkunft dem ungarisch-rumänischen Grenzgebiet zuzuordnen. Angaben zur Frau – Größe: 1,55 cm, Augenfarbe: braun bis grün, Haare: dunkelbraun bis schwarz, Figur: schlank, geschätztes Alter: 18 – 20 Jahre; Angaben zum Mann – Größe: 1,85 cm, Augenfarbe: braun, Haare: schwarz, geschätztes Alter: 45 – 50 Jahre.
Zum Nachteil von …, dachte Joentaa. Nicht identifizierte Personen … Er sah hinaus, auf den dunklen See, über dem ein blasser Mond schimmerte, dann senkte er den Blick wieder auf den Text, der auf dem Bildschirm flimmerte.
Die Frau trug zum Zeitpunkt des Auffindens ein langärmeliges Strickkleid mit Rundkragen, Vorderteil links violett, rechts dunkelblau, linker Brustbereich Applikationen in Form aufgenähter Herzen, Ärmel rechts violett, links dunkelgrün, mit dem innenseitigen Stoffeinnäher Avast-Polyester. Der Mann trug einen langärmeligen Pullover mit Rollkragen, dunkelbraun, einfarbig, sowie dunkelblaue Jeanshosen. Die Polizei ist auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Bitte verwenden Sie unser Hinweisformular oder kontaktieren Sie uns unter der angegebenen Telefonnummer.
Er betrachtete die Fotos, die Westerberg der Mail angehängt hatte, eine junge Frau, ein älterer Mann, beide sahen aus, als schliefen sie, in sehr hellem Licht. Als Joentaa den Laptop zuklappte, dachte er an einen anderen Fall, der ihn beschäftigt hatte, vor nicht allzu langer Zeit. Auch in diesem Fall war die Identität einer toten Frau lange ein dunkles Rätsel gewesen, und auch diese Suche hatte ihn schließlich mit Seppo und Westerberg, den Kollegen aus Helsinki, zusammengeführt. Er fragte sich, ob es wieder gelingen würde. Ob wieder der Tag kommen würde, der Moment, in dem die Namen der Toten auf einem Papier stehen würden, schwarz auf weiß.
Er dachte an die junge Frau, eher ein Mädchen, die auf dem Fahndungsfoto, das sie als nicht identifizierte Person auswies, aussah, als würde sie schlafen. Dragana, die nicht Dragana hieß, die sich nur so genannt hatte, aus Gründen, die Joentaa nicht kannte, und er fragte sich, warum sich eigentlich Larissa, die nicht Larissa hieß, ausgerechnet Larissa nannte, wenn sie ihrer Arbeit nachging. Auch ein falscher Name konnte doch nicht ganz beliebig gewählt sein, oder doch?
Er fühlte die beginnende Müdigkeit. Die Namen, falsche und richtige, bekannte und unbekannte, begannen schon, sich mit weichen, diffusen Bildern zur schwebenden
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