Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Geschichte eines Traumes zu verbinden, aber kurz bevor er einschlief, richtete er sich abrupt auf und öffnete den Laptop. Er loggte sich wieder in das Mailkonto ein und schrieb an veryhotlarissa@pagemails. fi:
Liebe Larissa,
wie geht es dir? Ich hoffe, sehr gut. Wäre schön, wenn du dich meldest. Ich denke an dich.
Ich bin seit einigen Tagen mit einem Fall befasst, der wieder mit einer Frau zu tun hat, die momentan nicht identifiziert werden kann. Du erinnerst dich sicher an die andere Sache vergangenes Jahr, als du mir mit deiner Einschätzung sehr geholfen hast.
Die Frau, um die es jetzt geht, war jung, etwa zwanzig Jahre alt, und sie stammt vermutlich aus Rumänien oder Ungarn. Sie hat in Salo in einem Club namens »Villa Bella« gearbeitet. Sie war mit ihrem Freund oder Zuhälter hier, und wie es aussieht, gab es auch noch einen weiteren Mann, einen Finnen, der ihr helfen wollte. Sagt dir das etwas? Deine Gedanken helfen mir eigentlich immer weiter …
Egal, wo du bist – schlaf schön.
Bis bald,
herzliche Grüße
Kimmo
Er stellte den Laptop auf dem Tisch ab und erinnerte sich an einen Tag im Winter, es war ein plötzliches grelles Bild in seinen Gedanken, das ihn mit Larissa zeigte, sie waren lachend einen Schneeberg hinuntergefahren. Irgendwann, auf halber Strecke, hatten sie die Kontrolle verloren, und der Schlitten hatte sie am Ende des langen Weges abgeworfen und war auseinandergebrochen.
Larissa war sofort aufgestanden und hatte aus voller Kehle gelacht, und Kimmo Joentaa hatte einige Minuten gebraucht, um daran glauben zu können, dass sie wirklich unverletzt geblieben waren. Er hatte ständig gefragt, ob es ihr auch wirklich gut gehe, ob alles in Ordnung sei, und je länger er gefragt hatte, desto lauter hatte Larissa gelacht.
Irgendwann hatte Joentaa begonnen mitzulachen, von ganzem Herzen, und am Ende, als er das Gefühl gehabt hatte, an dem Lachen zu ersticken, hatte er Larissa nach ihrem Namen gefragt, ihrem richtigen Namen, und Larissas Lachen war erloschen wie etwas, das nie wirklich da gewesen war.
»Warum?«, hatte sie gefragt.
»Was?«
»Warum fragst du wieder?«
Er hatte gewartet, nach einer Antwort gesucht, die stimmte. »Weil ich dich finden möchte, wenn du irgendwann nicht mehr zurückkommst.«
Sie hatte geschwiegen. Gewartet, er hatte nicht gewusst, worauf.
»Genau«, hatte sie schließlich gesagt, erleichtert, so als sei das ein Thema, das man jetzt endlich abschließen könne.
»Was?«
»Genau deshalb«, hatte sie gesagt. »Wenn ich irgendwann nicht zurückkomme, möchtest du mich finden. Und ich möchte sicher sein, dass deine Suche erfolglos bleiben wird.«
48
Kirsti Ekholm lief in der Nacht los. Sie kannte die Strecke, sie war sie früher oft gelaufen, gemeinsam mit Anna.
Anna war ab und zu stehen geblieben, weil ihre Aufmerksamkeit von etwas eingefangen worden war, das Kirsti Ekholm nicht hatte sehen können, das sie nicht verstanden hatte, und sie hatte gerufen, dass sie nicht so trödeln solle, sie würden zu spät kommen.
Der Friedhof lag auf halbem Weg zur Schule, und als sie jetzt lief, fragte sie sich, was Anna damals gesehen hatte, was sie veranlasst hatte, vom Weg abzukommen, stehen zu bleiben, in den Himmel zu schauen oder auf die fahrenden Autos oder auf Radfahrer oder auf die Bäume des Friedhofs, sie erinnerte sich daran, dass Anna auf Höhe des Friedhofs häufig stehen geblieben war, um die Bäume zu betrachten oder die Gräber oder was auch immer.
Kirsti Ekholm hatte ihre Tochter nie danach gefragt, und sie waren nie zu spät zur Schule gekommen. Kein einziges Mal hatte Anna ihren Willen durchsetzen können, einfach stehen zu bleiben, eine Pause zu machen, eine Pause von unbestimmter Dauer, auf Höhe des Friedhofs, im Schatten der Bäume.
Sie öffnete das unverschlossene Tor und ging über den weichen Kiesboden an den Reihen der Gräber entlang, bis sie im schwachen Licht der Laternen, vor dunklen hohen Bäumen, das Blumenbeet sah und das schlichte Holzkreuz, das hinter dem frisch ausgehobenen Grab angebracht worden war.
Sie blieb vor dem Grab stehen und sah sich die Kränze an. Viele Kränze. Einer von Mariella, ihrer Freundin und Kollegin, einer von Sven Lövgren, dem Kompagnon ihres Mannes, und den Mitarbeitern des Architekturbüros, einer von Virpi und Ari Kauppinen, guten Freunden, einer von Annas Schulklasse, der Klasse 5 a der Hermanni-Schule im Stadtteil Uittamo. Neben der gedruckten Schrift sah sie viele Unterschriften, manche fein,
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