Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Beruhigungsmittel.«
»Gut«, sagte Joentaa.
»Höchstens zwei, und in jedem Fall vier Stunden Abstand bis zur nächsten Einnahme. Man kann sie aber mehrmals täglich nehmen.«
Joentaa nickte.
»Falls sich hier an der Situation etwas ändert, erreichen Sie mich unter dieser Nummer direkt.« Er gab ihm eine weiße Karte, auf der nur der Name und die Nummer standen und das Logo der finnischen Notfallambulanz abgebildet war.
»Danke«, sagte Joentaa.
»Und morgen muss der Mann ins Krankenhaus zu einer eingehenden Untersuchung. Für den Fall, dass sich über Nacht Schmerzen einstellen, lasse ich Ihnen auch hoch dosiertes Ibuprofen da. Aber dieser Wirkstoff stößt ab einem gewissen Punkt an Grenzen …«
»Ja. Danke«, sagte Joentaa.
Er blieb in der Küche stehen, betrachtete die Karte, die ihm der Arzt gegeben hatte, und hörte, wie die Haustür leise ins Schloss fiel. Im Wohnzimmer saß Lasse Ekholm schweigend auf dem Sofa, als er zurückkehrte. Die gefüllten Tassen standen unberührt auf dem Tablett.
»Kirsti hat sich schlafen gelegt«, sagte er.
Joentaa setzte sich auf den Rand des Sofas. Hinter der Fensterwand lag der Garten im Dunkel. Joentaa erahnte die Schaukel, an der Schwelle zum Wald.
»Ich werde mich auch hinlegen«, sagte Ekholm. »Oder …? Ich weiß nicht … was …«
»Der Arzt hat Tabletten dagelassen«, sagte Joentaa. »Beruhigende und auch schmerzstillende. Und Sie sollen morgen unbedingt zu einer Kontrolluntersuchung ins Krankenhaus gehen.«
Ekholm nickte. »Morgen«, sagte er. Es klang, als wisse er nicht, was mit dem Wort anzufangen sei. »Kimmo, könnten Sie … noch eine Weile bleiben?«, fragte er. »Es … würde mich … irgendwie beruhigen …«
»Natürlich«, sagte Joentaa.
Ekholm nickte. Dann ging er, und Joentaa erinnerte sich an den Morgen nach Sannas Tod. An den Gedanken, nie wieder einschlafen zu können, den er genau in dem Moment gehabt hatte, in dem er eingeschlafen war.
Er blieb lange auf dem Sofa sitzen, auf dem Sanna und Kirsti Ekholm gesessen und über das Rezept für die Lasagne gesprochen hatten. Ab und zu flackerten die Lichter vorüberfahrender Autos in der Dunkelheit, die für Momente den Garten erhellten.
Joentaa stand vorsichtig auf und öffnete die schmale Tür, die hinausführte. Es schneite nicht mehr, aber es war kalt. Er lief ein paar Schritte über den von weichem Schnee bedeckten Rasen, sah jetzt die Schaukel und auch das kleine Tor, auf das Anna geschossen hatte. Es stand am selben Platz, im Zentrum der Rasenfläche, das Netz war ein wenig ausgefranst, und der Ball lag im Tor, rechts unten, genau in der Ecke, in die Lasse Ekholm damals vergeblich gehechtet war. Joentaa stand einige Meter entfernt, etwa da, wo Anna gestanden haben musste, als sie den Ball aufs Tor geschossen hatte.
Er sah das Tor, das stand, wo es gestanden hatte, den Ball, der lag, wo er gelegen hatte, und dachte, dass vielleicht auch Annas triumphaler Jubelschrei erst vor Sekunden vergangen war.
ZWEI MONATE FRÜHER – MÄRZ
4
Markus Sedin hatte nicht den Eindruck, bestimmten Gedanken nachzuhängen, aber irgendwann, als sich das Schweigen im Speisewagen zwischen Brüssel und Ostende in die Länge zu ziehen begann, bemerkte er, dass seine Blicke einen Rhythmus annahmen, dass sie zwischen dem Kaffee und dem Schnee hin- und herwanderten.
Der Kaffee war ein wenig übergelaufen, über die weiße Tasse, auf die Serviette und das Tischtuch, und hinter den Scheiben lag die blasse Landschaft in Schnee gehüllt. Markus Sedin hörte leise das weiche Trommeln, das Markkanens Finger verursachten, während sie über die Laptoptastatur glitten, und er konzentrierte sich, in regelmäßigem Wechsel, auf das Schwarz des Kaffees und das Weiß des Schnees – bis er einen leichten Schwindel hinter der Stirn spürte und das Gefühl hatte, nach einem bestimmten Gedanken greifen zu können.
»Alles gut?«, fragte Bergenheim.
»Was?«
»Alles gut bei dir?«, fragte Bergenheim. »Du machst so zuckende Kopfbewegungen.«
»Ja?«, sagte Sedin. Er sah jetzt Bergenheim an, der ihm gegenübersaß, neben dem schwitzend auf die Tastatur einhämmernden Markkanen. Bergenheim nickte, schien sich gedanklich aber schon wieder ein wenig entfernt zu haben. Markus Sedin betrachtete den Kaffee, nahm die kleine Tüte und schüttete Zucker hinein.
»Haut das noch hin bei dir?«, fragte Bergenheim und meinte dieses Mal Markkanen, der sich nicht angesprochen fühlte.
»Bis heute Nachmittag steht die Präsentation,
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