Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
ging zur Tür, nicht langsam, nicht schnell.
Larissa, dachte er. Larissas Zeit. Wenn sie in der Tür stand, würde er sie nach ihrem Namen fragen. Er würde sie nicht eintreten lassen, wenn sie nicht endlich den Namen sagte.
An der Tür standen zwei uniformierte Polizisten, die er nicht kannte.
»Herr … äh … Joentaa?«, sagte der Ältere der beiden.
»Ja?«, sagte er.
»Kimmo Joentaa?«
»Ja«, sagte er.
»Entschuldigen Sie … wohnt hier eine Frau Beck? Mari Beck?«
Nein, dachte er.
Er sagte nichts.
»Kennen Sie … Frau Beck?«
Er schüttelte den Kopf.
»Also … können Sie uns …«
»Ich höre den Namen zum ersten Mal«, sagte Joentaa.
Die Polizisten tauschten Blicke aus. »Frau Beck hat diese Adresse als Wohnadresse angegeben. Im Krankenhaus.«
Joentaa nickte.
Anfang und Ende, dachte er.
Der ältere der Polizisten räusperte sich, der jüngere sprach. »Frau Beck ist … am gestrigen Abend … bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie hat diese Adresse als Wohnadresse angegeben, und sie hat … Ihren Namen offensichtlich darüber hinaus auch im Krankenhaus …«
Joentaa wartete.
»Sie hat Ihren Namen eintragen lassen … Sie sind laut Aussage von Frau Beck …«
Der Jüngere räusperte sich, der Ältere fuhr fort.
»Sie sind Vater einer Tochter, die die Verstorbene vor wenigen Tagen zur Welt gebracht hat.«
81
Das Krankenhaus von Turku. Ein Bau mit ungezählten Fenstern, die Joentaa einmal hatte zählen wollen und einmal gezählt hatte.
Vor Jahren. In den Tagen vor Sannas Tod.
Und vor wenigen Monaten. Als Lasse Ekholm hinter einem der Fenster behandelt worden war, wegen Rippenbrüchen und einem Schmerz, der nicht zu behandeln war. Joentaa hatte die Fenster gezählt. Bei Gelegenheit würde er es noch einmal tun, nur um sicherzugehen, dass die Zahl stimmte.
Er folgte nicht den blauen Pfeilen zur Intensivstation, auf der Sanna gestorben war, sondern den gelben, die den Weg zu den Geburten wiesen. Das Gesicht der Schwester, die ihn nach seinem Anliegen fragte, hellte sich kurz auf, als er den Namen nannte. Mari Beck. Der Name hallte nach, der Name, nach dem er so lange gesucht, auf den er so lange gewartet hatte, und das Lächeln der Schwester lag im Schatten.
»Sie wissen, dass Frau Beck …«, sagte die Schwester.
»Ja«, sagte Joentaa. »Ich bin … der Vater.«
Die Schwester nickte. Sie ging voran, und er folgte ihr in einen vergleichsweise großen Raum, in dem niemand war. Nur die Schwester, er selbst. Und das kleine Kind, das in einem rechteckigen Kasten lag, auf eine weiße Decke gebettet. Es schien zu schlafen.
»Sie liegt nur sicherheitshalber im Brutkasten«, sagte die Schwester. »Es ist alles gut verlaufen.«
Joentaa nickte.
»Die … Polizei war hier … es tut mir so leid, dass …«
Joentaa nickte, ohne den Blick von dem Kasten abzuwenden. Über dem Kasten an einer kahlen Wand hing eine runde Uhr. Die Sekunden vergingen, in regelmäßigen Abständen.
Die Schwester ging und kehrte nach einer Weile zurück. Joentaa hatte die Uhr nicht aus den Augen gelassen, aber er wusste nicht, wie viele Minuten vergangen waren. Sie schwieg, in seinem Rücken, er drehte sich zu ihr um.
»Frau Beck hat Ihnen einen Brief geschrieben«, sagte sie. »Das ist er.«
Sie reichte ihm den Brief.
»Wenn Sie möchten, können Sie hierbleiben«, sagte sie.
Joentaa nickte. »Ja«, sagte er.
»Und … machen Sie sich keine Sorgen«, sagte sie. »Die kleine Sanna ist auf einem guten Weg.«
Joentaa nickte. »Sanna …«, sagte er.
»Ja, das ist der Name, den Frau Beck ihr gegeben hat. Gleich nach der Geburt, das schien ihr wichtig zu sein. Ist das …?«
»Ja. Natürlich, das ist gut«, sagte Joentaa. Er betrachtete den rechteckigen Kasten, unter der runden Uhr. Ein leises Klacken und die ruckartigen Bewegungen des Zeigers signalisierten jede vergehende Sekunde.
Die Schwester lächelte und ging, und Joentaa öffnete den weißen Umschlag, nahm den Brief heraus. Er las.
Lieber Kimmo,
wie du siehst, habe ich ein Kind zur Welt gebracht.
Ich weiß nicht, was ich tun werde, ich bin nicht ganz sicher, seit Monaten schon, aber ich denke, ich werde nicht bleiben. Ich werde dieses Kind nicht begleiten. Ich bin keine Mutter.
Ich habe viel Stress im Moment, im Job und auch mit meiner Familie. Mit meinem Bruder. Ich habe nie von ihm erzählt. Ich glaube, dass ich mich ein wenig um ihn kümmern muss. Was ich dann machen werde, weiß ich nicht.
Ja. Ich habe lange überlegt, dieses Kind
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