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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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trieben ihm entgegen, gewannen an Größe, und dann streckte Lasse Ekholm die Arme nach ihnen aus. Endlich, dachte er.
    Der Schrei, den Kirsti ausstieß, ähnelte einem Summen und war weit entfernt. Der Aufprall war kurz und blechern. Er schloss die Augen und ließ sich treiben.
    Er hatte es schon einmal erlebt.
    Die Welt drehte sich. Sie drehte und drehte und drehte sich lautlos um sich selbst. Dann stand sie still. Die Geräusche kehrten zurück. Langsam und stetig nahm die Lautstärke zu. Das Dröhnen eines Motors. Er lag auf einer kalten weichen Fläche, auf dem Rücken. Er hatte keine Schmerzen.
    Ein plötzliches Empfinden von Schwerelosigkeit, in dem Moment, in dem er die Spur gewechselt hatte. Der dröhnende Motor war der des anderen Wagens, der sich überschlagen hatte, die Räder drehten mit hoher Geschwindigkeit ins Leere. Er versuchte sich aufzurichten, aber es war nicht möglich. Er hörte Sirenen, die schnell näher kamen, flackernde Lichter, eine Stimme sprach ihn an.
    »Haben Sie Schmerzen?«, fragte die Stimme, er verneinte.
    »Wir bringen Sie bald weg von hier. Es wird wieder gut«, sagte die Stimme.
    Hände berührten ihn.
    »Es ist wichtig, dass er zur Ruhe kommt, sonst kippt er uns weg«, sagte eine andere Stimme.
    Sie hoben ihn nach oben, trugen ihn. Über seinem Gesicht hing ein Schlauch. Er hörte einen Schrei, der leise begann, anschwoll, in ein Kreischen mündete. Er sah in die Gesichter, die über ihm waren und regungslos blieben.
    War er der Einzige, der den Schrei hören konnte?
    »Beruhigen Sie sich«, sagte eine der sanften Stimmen. »Versuchen Sie, ruhiger zu werden.«
    Er wollte nach Kirsti fragen, aber er konnte nicht sprechen.
    »Versucht es von der anderen Seite!«, rief eine Stimme. Flackernde Lichter. Er wendete den Kopf und sah das Auto. Den neuen silbernen Wagen, allzeit gute Fahrt hatte der Verkäufer gewünscht und Kirsti einen Blumenstrauß überreicht. Der Wagen sah eigentlich unversehrt aus, er stand am Straßenrand. Nur die Windschutzscheibe fehlte.
    Deshalb hatte er am Boden gelegen, er war nicht angeschnallt gewesen. Er konnte sich an die Sekunden des Sturzes nicht erinnern. Er sah Kirsti, sie saß auf dem Beifahrersitz und bewegte sich nicht. Die Tür war geöffnet. Ein Sanitäter beugte sich über sie und schien mit ihr zu sprechen.
    »Können Sie mich hören?«, fragte eine Stimme.
    Er nickte.
    »Sie müssen versuchen, sich zu beruhigen.«
    Er war ruhig.
    »Versuchen Sie, regelmäßig zu atmen.«
    Er nickte.
    »Ihr fahrt gleich zum Seiteneingang, ich habe durchgegeben, dass sie das große Tor öffnen sollen. Dann mit dem Lastenaufzug in den Zweiten und direkt in die Chirurgie. Ihr werdet erwartet. Klar?«
    »Schon klar, Chef«, sagte eine andere Stimme.
    Türen wurden geschlossen, ein Motor wurde gestartet, sie fuhren. Er dachte an Kirsti. Ein kleines Fenster, durch das er blickte, er sah Kirsti, die einem Sanitäter erklärte, wo der Schmerz saß.
    Er schloss die Augen.
    »Er kippt weg«, sagte eine Stimme, genau in dem Moment, in dem er endlich begann, ins Leben zurückzukehren.
74
    »Zwei Wagen, ja. Ist das so verdammt schwer zu begreifen oder was?!«, rief einer der beiden Polizisten, die als Erste am Unfallort eingetroffen waren.
    Die Frau am anderen Ende der Leitung schien nichts zu begreifen.
    »Verstehen Sie mich eigentlich? Wir brauchen sofort …«
    »Entschuldige …«
    »Was!?«
    »Ich …«
    »Merkst du vielleicht, dass ich gerade am Telefonieren bin?!« Er sah seinen jungen Kollegen an.
    »Ich … wollte nur sagen, dass … in dem anderen Wagen …«
    »Was denn, verdammt?!«
    »Also … ein bisschen komisch … da lagen Waffen und eine riesige Menge Munition im Kofferraum. Und die beiden Insassen, ein Mann und eine Frau, sind tot.«
75
    Kimmo Joentaa durchquerte den späten Abend auf einer leeren Straße, die immer geradeaus zu führen schien.
    Als er ankam, rief er Westerberg an, der sagte, dass alles vorbereitet sei, er solle sich am Empfang ausweisen und anmelden und in den fünften Stock fahren, der Vernehmungsraum liege rechter Hand, Zimmer 404. Joentaa lief durch die einsetzende Kälte, betrat das im Dunkel liegende große Gebäude, meldete sich an, wurde von einem müde aussehenden Nachtpförtner durchgewinkt und fuhr nach oben.
    Hinter der Tür zu Zimmer 404 verbarg sich der Vorraum, in dem Joentaa schon einmal gestanden hatte, vor einigen Wochen, gemeinsam mit Seppo, und hinter der Scheibe, die den Blick auf den Vernehmungsraum freigab, hatte

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