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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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und Westfield bedeutet. Und oh, wie er einen Krach haßte!
    Das Gekeife, das Gespött! Schon beim Gedanken daran
    schreckte er zurück; er konnte das Muttermal an seiner Wange deutlich fühlen, und etwas in seinem Hals machte seine Stimme flach und schuldbewußt. Nur nicht das! Es war leichter, seinen Freund zu beleidigen; denn daß der davon hören würde, wußte er.
    Flory war seit fünfzehn Jahren in Burma, und in Burma lernt man, sich nicht gegen die öffentliche Meinung aufzulehnen.
    Aber sein Problem war älter. Es hatte im Mutterschoß begonnen, als der Zufall das blaue Muttermal auf seine Wange drückte. Er dachte an manche frühen Wirkungen dieses Muttermals. Der
    erste Schultag mit neun Jahren; die starrenden Blicke und nach ein paar Tagen die höhnischen Rufe der anderen Jungen; sein Spitzname Blaubacke, der ihm anhaftete, bis der Schuldichter (ein Kritiker, fiel Flory jetzt ein, der recht gute Artikel für die Nation geschrieben hatte) mit dem Vers herauskam: Unser Flory comme il faut Hat’n Gesicht wie’n Affenpo,
    woraufhin der Spitzname Affenpo sich einbürgerte. Und die
    folgenden Jahre. Samstag abends veranstalteten die älteren Jungen etwas, was sie spanische Inquisition nannten. Die
    Lieblingstortur war, daß jemand einen mit einem sehr
    schmerzhaften Griff, den nur einige Auserwählte kannten und der Spezialtogo genannt wurde, festhielt, während ein anderer einen mit einer an einer Schnur befestigten Kastanie schlug.
    Aber Flory hatte den »Affenpo« mit der Zeit vergessen lassen.
    Er war ein Lügner und ein guter Fußballer, zwei Dinge, die für den Erfolg in der Schule absolut unerläßlich sind. In seinem letzten Schuljahr hielten er und ein anderer Junge den
    Schuldichter im Spezialtogo, während der Kapitän der Elf ihm sechs Schläge mit einem mit Spikes versehenen Rennschuh
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    verabfolgte, weil er dabei erwischt worden war, daß er ein Sonett schrieb. Es war eine lehrreiche Zeit.
    Aus dieser Schule ging er in eine billige, drittklassige Public School. Es war ein armseliges, angeberisches Internat. Es äffte die großen Public Schools mit ihrer Tradition vom High-Anglikanismus, Kricket und lateinischen Versen nach und hatte eine Schulhymne, die ›Das Gedränge des Lebens‹ hieß und in der Gott als der Große Schiedsrichter fungierte. Aber es fehlte der Hauptvorzug der großen Public Schools, die Atmosphäre
    von literarischer Bildung. Die Jungen lernten so gut wie nichts.
    Es gab nicht genug Prügel, um sie zu zwingen, den öden Unsinn des Lehrplans zu schlucken, und die jämmerlichen,
    unterbezahlten Lehrer sonderten keine Weisheit versehentlich ab. Flory verließ diese Schule als barbarischer junger Lümmel.
    Und doch hatte er schon damals, und er wußte es, gewisse
    Möglichkeiten in sich; Möglichkeiten, die ihn
    höchstwahrscheinlich in Schwierigkeiten bringen würden. Aber er hatte sie natürlich unterdrückt. Ein Junge fängt seine
    Laufbahn nicht mit dem Spitznamen Affenpo an, ohne eine
    Lehre daraus zu ziehen.
    Er war noch nicht ganz zwanzig, als er nach Burma kam.
    Seine Eltern, brave Leute, die ihn zärtlich liebten, hatten für ihn eine Stellung bei einer Holzfirma gefunden. Sie hatten diesen Posten nur mit großen Schwierigkeiten gefunden und ein
    Lehrgeld bezahlt, das sie sich nicht leisten konnten; später hatte er sie damit belohnt, daß er ihre Briefe mit nachlässigem
    Gekritzel nach Monaten beantwortete. Seine ersten sechs
    Monate in Burma hatte er in Rangun verbracht, wo er die
    Büroseite seines Berufes erlernen sollte. Er hatte in einer
    ›Wohngemeinschaft‹ gewohnt zusammen mit vier anderen
    Jünglingen, die ihre ganze Kraft für Ausschweifungen
    verbrauchten. Und was für Ausschweifungen! Sie soffen
    Whisky, den sie heimlich haßten, sie standen um das Klavier herum und brüllten wahnsinnig schmutzige und blöde Lieder,
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    sie vergeudeten Rupien hunderteweise an ältliche jüdische
    Huren mit Krokodilsgesichtern. Auch das war eine Ausbildung gewesen.
    Aus Rangun war er in ein Lager im Dschungel nördlich von
    Mandalay gegangen, wo Teakholz gewonnen wurde. Das
    Dschungelleben war nicht schlecht trotz der Unbequemlichkeit, der Einsamkeit und, was fast das Schlimmste in Burma ist, dem ekelhaften, eintönigen Essen. Er war damals sehr jung, jung genug für Heldenverehrung, und er hatte Freunde unter den
    Männern in seiner Firma. Man ging auch auf die Jagd und
    fischte, und vielleicht einmal im Jahr machte man einen eiligen Ausflug nach Rangun - unter dem

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