Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
Vom Netzwerk:
Man hört sich an, wie die eigenen orientalischen Freunde »schmierige kleine Babus« genannt
    werden, und gibt gehorsam zu, daß sie schmierige kleine Babus sind. Man sieht frisch von der Schule gekommene Lümmel
    grauhaarige Diener mit Füßen treten. Es kommt die Zeit, da man vor Haß gegen seine eigenen Landsleute glüht, da man einen Eingeborenenaufstand herbeisehnt, der ihr Empire in Blut
    ertränken würde. Und darin ist nichts Ehrenhaftes, nicht einmal Aufrichtigkeit. Denn was liegt einem in Grunde daran, ob das
    -80-
    indische Empire eine Gewaltherrschaft ist, ob nun die Inder tyrannisiert und ausgebeutet werden? Es liegt einem nur daran, weil einem selbst das Recht auf freie Rede verweigert wird. Man ist ein Geschöpf des Despotismus, ein Pukka Sahib, der fester als ein Mönch oder ein Primitiver in ein unerschütterliches System von Tabus verschnürt ist.
    Die Zeit verging, und von Jahr zu Jahr fühlte sich Flory
    weniger zu Hause in der Welt der Sahibs und mehr in Gefahr von Schwierigkeiten, wenn er ernsthaft über irgendein Thema sprach. So hatte er gelernt, ein geheimes Innenleben zu führen, in Büchern und heimlichen Gedanken zu leben, über die man
    nicht sprechen konnte. Selbst seine Unterhaltungen mit dem Doktor waren eine Art Selbstgespräch; denn der Doktor, der gute Mann, verstand wenig vom Gesagten. Aber es korrumpiert, sein eigentliches Leben im geheimen zu führen. Man sollte mit dem Strom des Lebens leben, nicht gegen ihn. Es wäre besser, der dickschädeligste Pukka Sahib zu sein, der je rülpsend sein Credo von Harrow gegrölt hatte, als stumm und allein
    dahinzuleben und sich mit heimlichen, sterilen Welten zu
    trösten.
    Flory war nie wieder in England gewesen. Warum, hätte er
    nicht erklären können, obwohl er es sehr wohl wußte. Zu
    Anfang hatten Unglücksfälle ihn gehindert. Zuerst war Krieg, und nach dem Krieg war seine Firma so knapp an ausgebildeten Assistenten, daß man ihn zwei Jahre lang nicht fortlassen wollte.
    Dann endlich war er abgereist. Er sehnte sich nach England, obwohl er die Begegnung fürchtete, wie man die Begegnung mit einem hübschen Mädchen fürchtet, wenn man unrasiert ist und keinen Kragen umhat. Als er von zu Hause fortgegangen war, war er ein Junge gewesen, ein vielversprechender Junge und gut aussehend trotz seines Muttermals ; jetzt, nur zehn Jahre später, war er gelb, mager, ein Trinker und in seinem Aussehen und Gehaben fast ein Mann in mittleren Jahren. Trotzdem sehnte er sich nach England. Das Schiff rollte westwärts über
    -81-
    Wasserwüsten wie grobgehämmertes Silber, dahinter der
    winterliche Passatwind. Florys dünnes Blut belebte sich durch das gute Essen und die Seeluft. Und ihm fiel ein - etwas, was er in der stagnierenden Luft von Burma tatsächlich vergessen hatte
    -, daß er noch jung genug war, um wieder von vorn anzufangen.
    Er würde ein Jahr in zivilisierter Gesellschaft leben, er würde ein Mädchen finden, dem sein Muttermal nichts ausmachte - ein zivilisiertes Mädchen, keine Pukka-Memsahib -, und er würde sie heiraten und noch zehn, fünfzehn Jahre in Burma aushalten.
    Dann würden sie sich zur Ruhe setzen - er würde um die Zeit vielleicht zwölf- bis fünfzehnt ausend Pfund schwer sein. Sie würden ein Häuschen auf dem Lande kaufen, würden sich mit
    ihren Kindern und Freunden, Büchern und Tieren umgeben. Sie würden für immer von der Atmosphäre der Pukka-Sahibs befreit sein. Er würde Burma vergessen, dieses grauenha fte Land, das ihn um ein Haar zugrunde gerichtet hätte.
    Als er in Colombo ankam, fand er ein Telegramm vor. Drei
    Männer in seiner Firma waren plötzlich an Schwarzwasserfieber gestorben. Die Firma bedauerte, aber er möchte bitte sofort nach Rangun zurückkommen. Er würde seinen Urlaub bei der
    nächstmöglichen Gelegenheit nehmen können.
    Flory nahm das nächste Schiff nach Rangun, sein Pech
    verfluchend, und fuhr mit dem Zug zu seiner Station zurück. Er war damals nicht in Kyauktada, sondern in einer anderen Stadt in Oberburma. Alle Diener erwarteten ihn auf dem Bahnsteig. Er hatte sie en bloc seinem Nachfolger übergeben, der gestorben war. Es war so verrückt, ihre vertrauten Gesichter
    wiederzusehen! Noch vor zehn Tagen war er auf dem Weg nach England gewesen, hatte sich schon in England gesehen; und nun zurück in die alte schale Umgebung mit den nackten schwarzen Kulis, die sich um das Gepäck zankten, und auf der Straße ein Burmane, der seine Ochsen anschrie.
    Die Diener umdrängten ihn,

Weitere Kostenlose Bücher