Tage in Burma
des Exerzierplatzes und der Anstrengung grausamer Märsche vertauschen wollte. Der Krieg rollte weiter wie ein Gewitter jenseits des Horizontes. Das heiße, zerzauste Land, jeder Gefahr entrückt, gab einem ein Gefühl der Einsamkeit, der Vergessenheit. Flory begann gierig zu lesen und lernte in Büchern zu leben, wenn das Leben langweilig war. Er wurde erwachsen, war der knabenhaften Vergnügungen müde
und lernte fast nolens volens selbst zu denken.
Er feierte seinen siebenundzwanzigsten Geburtstag im
Krankenhaus, von Kopf bis Fuß mit häßlichen Wunden bedeckt, die man Schmutzausschlag nannte, die aber wahrscheinlich vom Whisky und schlechten Essen stammten. Sie hinterließen kleine Narben auf seiner Haut, die erst nach zwei Jahren
verschwanden. Ganz plötzlich begann er sehr viel älter
auszusehen und sich zu fühlen. Seine Jugend war vorbei. Acht Jahre Leben im Osten, Fieber, Einsamkeit und zeitweises
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Trinken hatten ihn gezeichnet.
Seitdem war jedes Jahr einsamer und bitterer gewesen als das vorige. Was jetzt im Zentrum all seiner Gedanken saß und alles vergiftete, war der immer bitterere Haß auf die ihn umgebende Atmosphäre von Imperialismus. Denn während sein Gehirn sich entwickelte - man kann sein Gehirn nicht hindern, sich zu entwickeln, und es ist eine der Tragödien der Halbgebildeten, daß sie sich spät entwickeln, wenn sie sich schon auf eine falsche Lebensweise festgelegt haben -, ging ihm die Wahrheit über die Engländer und ihr Empire auf. Das indische Empire ist eine Gewaltherrschaft - eine wohlwollende, zweifellos, aber trotzdem eine Gewaltherrschaft mit Diebstahl als Endzweck.
Und was die Engländer im Osten, die Sahiblog, betraf, so hatte Flory sie im Zusammenleben mit ihnen so hassen gelernt, daß er völlig unfähig war, ihnen gegenüber fair zu sein. Denn
schließlich sind die armen Teufel nicht schlechter als jeder andere. Sie sind um das Leben, das sie führen, nicht zu
beneiden; es ist ein schlechtes Geschäft, dreißig Jahre schlecht bezahlt in einem fremden Lande zu leben und dann mit
zerstörter Leber und Schwielen am Hintern vom Sitzen auf
Korbstühlen nach Hause zu kommen und als Langweiler in
einem zweitklassigen Club herumzusitzen. Andererseits darf man die Sahiblog nicht idealisieren. Es ist eine vorherrschende Vorstellung, die Männer auf den ›Außenposten des Empires‹
wären zumindest fähige und schwerarbeitende Leute. Das ist eine Täuschung. Außerhalb der wissenschaftlichen Dienststellen
- die Forstabteilung, die Abteilung für öffentliche Arbeiten und dergleichen - besteht für einen britischen Beamten in Indien keine besondere Notwendigkeit, in seiner Arbeit tüchtig zu sein.
Wenige von ihnen arbeiten so schwer oder mit so viel
Intelligenz wie der Postamtsvorsteher einer englischen
Provinzstadt. Die eigentliche Verwaltungsarbeit wird
hauptsächlich von eingeborenen Untergebenen verrichtet; und das eigentliche Rückgrat der Gewaltherrschaft sind nicht die
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Beamten, sondern die Armee. Da es die Armee gibt, können sich die Beamten und Geschäftsleute ohne Schwierigkeiten
durchwinden, auch wenn sie Idioten sind. Und die meisten von ihnen sind Idioten. Ein stumpfsinniges, anständiges Volk, das seinen Stumpfsinn hinter einer Viertelmillion Bajonette hegt und pflegt und stärkt.
Man lebt in einer erstickenden, verdummenden Welt, in der
jedes Wort und jeder Gedanke unter Zensur steht. In England ist es schwer, sich solch eine Atmosphäre auch nur vorzustellen. In England ist jedermann frei; man verkauft seine Seele in der Öffentlichkeit und kauft sie im Privatleben, unter seinen
Freunden, zurück. Aber selbst Freundschaft kann es kaum
geben, wenn jeder weiße Mann Rädchen im Getriebe eines
Despotismus ist. Die freie Rede ist undenkbar. Alle anderen Arten von Freiheiten sind zugelassen: ein Trinker, ein
Müßiggänger, ein Feigling, ein Verleumder, ein Wüstling zu sein; aber man hat nicht die Freiheit zu eigenen Gedanken. Die Meinung über jeden Gegenstand von denkbarer Bedeutung wird durch den Pukka-Sahib-Kodex vorgeschrieben.
Schließlich wird man von der Geheimhaltung seiner Revolte
vergiftet wie von einer geheimen Krankheit. Das ganze Leben ist ein Leben der Lügen. Jahr für Jahr sitzt man in kleinen Clubs, in denen Kipling spukt, rechts einen Whisky, links die Sporting Times, und hört eifrig zustimmend zu, wie Colonel Bodger seine Theorie zum besten gibt, daß diese verdammten Nationalisten in öl gesotten werden sollten.
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