Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
Vom Netzwerk:
Gebell.
    VI
    Die Morgensonne fiel schräg über den Maidan und traf gelb wie Blattgold die weiße Front des Bungalows. Vier
    schwarzviolette Krähen stießen herab und ließen sich auf der Verandabrüstung nieder, wo sie auf die Gelegenheit warteten, hineinzuflitzen und Brot und Butter zu stehlen, die Ko S’la an Florys Bett gesetzt hatte. Flory kroch durch das Moskitonetz, rief Ko S’la zu, er möge ihm Gin bringen, dann ging er ins Badezimmer und saß eine Weile in einer Zinkwanne mit
    Wasser, das angeblich kalt war. Nach dem Gin fühlte er sich besser und rasierte sich. In der Regel schob er das Rasieren bis zum Abend auf, denn sein Barthaar war schwarz und wuchs
    schnell.
    Während Flory verdrießlich in seinem Bad saß, kämpfte Mr.
    Macgregor in Shorts und Unterhemd auf der zu diesem Zweck
    in seinem Schlafzimmer ausgelegten Bambusmatte sich durch
    Nummer 5, 6, 7, 8 und 9 von Nordenflychts ›Turnbrevier für Stubenhocker‹. Mr. Macgregor versäumte seine
    Morgengymnastik nie oder nur selten. Nummer 8 (flach auf dem Rücken, die Beine rechtwinklig heben, ohne die Knie zu
    beugen) war ausgesprochen mühsam für einen
    Dreiundfünfzigjährigen; Nummer 9 (flach auf den Rücken
    legen, sich zu sitzender Haltung aufrichten und die Zehen mit den Fingerspitzen berühren) noch schlimmer. Nun, egal, man mußte fit bleiben! Während Mr. Macgregor sich mühsam in
    Richtung seiner Zehen beugte, verbreitete sich ein ziegelroter
    -85-
    Schatten von seinem Hals aufwärts und sammelte sich auf
    seinem Gesicht wie ein drohender Schlaganfall. Der Schweiß glänzte auf seiner breiten, teigigen Brust. Nur nicht nachlassen, nicht nachlassen! Man mußte um jeden Preis fit bleiben.
    Mohammed Ali, der Träger, der Mr. Macgregors saubere
    Sachen über dem Arm trug, sah durch die halboffene Tür zu.
    Sein schmales, gelbes arabisches Gesicht verriet weder
    Verständnis noch Neugier. Er hatte diese Verrenkungen - ein Opfer für einen geheimnisvollen und strengen Gott, stellte er sich verschwommen vor seit fünf Jahren jeden Morgen mit
    angesehen.
    Zur selben Zeit lehnte Westfield, der zeitig ausgegangen war, an dem mit Kerben und Tintenflecken bedeckten Tisch der
    Polizeiwache, während der dicke Unterinspektor einen
    Verdächtigen verhörte, den zwei Polizisten bewachten. Der
    Verdächtige war ein vierzigjähriger Mann mit grauem,
    ängstlichem Gesicht, bekleidet nur mit einem bis zum Knie
    aufgeschürzten, zerlumpten Longyi, unter dem man seine mageren, gekrümmten und mit Zeckenbissen punktierten
    Schienbeine sah.
    »Wer ist der Kerl?« fragte Westfield.
    »Ein Dieb, Sir. Wir fanden ihn im Besitz von diesem Ring mit zwei sehr teuren Smaragden. Keine Erklärung. Wie kann er
    armer Kuli - ein Smaragdring besitzen? Er wird ihn gestohlen haben.«
    Er wandte sich wütend dem Verdächtigen zu, näherte ihm
    sein Gesicht wie ein Kater, bis es fast das des anderen berührte, und brüllte mit enormer Stimme:
    »Du hast den Ring gestohlen!«
    »Nein.«
    »Du bist ein alter Vorbestrafter!«
    »Nein.«
    -86-
    »Du hast im Gefängnis gesessen!«
    »Nein.«
    »Dreh dich um!« kläffte der Unterinspektor, einem

plötzlichen Einfall gehorchend. »Bück dich!«
    Der Verdächtige wandte sein graues Gesicht in Todesangst
    Westfield zu, der den Blick abwandte. Die beiden Polizisten ergriffen ihn, drehten ihn um und beugten ihn vor; der
    Unterinspektor riß ihm seinen Longyi ab, und er stand mit bloßem Gesäß da.
    »Sehen Sie dies, Sir!« Er deutete auf einige Narben. »Er ist gepeitscht worden mit Bambus. Er ist ein alter Missetäter.
    Darum hat er den Ring gestohlen!«
    »Na gut, sperrt ihn ins Kittchen«, sagte Westfield mürrisch, während er, die Hände in den Taschen, von dem Tisch
    fortschlenderte. Im Grunde seines Herzens verabscheute er es, diese armen Teufel wegen gewöhnlichem Diebstahl
    einzusperren. Banditen, Rebellen - ja; aber nicht diese armen, kriecherischen Ratten!
    »Wie viele hast du jetzt im Kittchen, Maung Ba?« fragte er.
    »Drei, Sir.«
    Die Haftzelle war oben, ein Käfig, von sechszölligen
    Holzgittern umgeben und von einem mit einem Karabiner
    bewaffneten Polizisten bewacht. Es war sehr dunkel, erstickend heiß und ganz ohne Möbel bis auf eine Latrine, die zum Himmel stank. Zwei Gefangene hockten am Gitter, möglichst weit
    entfernt von einem dritten, einem indischen Kuli, der von Kopf bis Fuß mit Grind bedeckt war wie von einem Panzer. Eine
    stämmige burmanische Frau, die Frau des einen Polizisten,
    kniete draußen vor

Weitere Kostenlose Bücher