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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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ein Kreis von freundlichen
    braunen Gesichtern, und brachten ihm Geschenke. Ko S’la hatte
    -82-
    ihm ein Sambarfell gebracht, die Inder Bonbons und eine
    Girlande von Ringelblumen, Ba Pe, damals noch ein kleiner
    Junge, ein Eichhörnchen in einem Rohrkäfig. Ochsenkarren
    warteten auf das Gepäck. Flory ging zu seinem Haus hinauf, er sah lächerlich aus mit der um seinen Hals baumelnden Girlande.
    Das Licht des Kaltwetternachmittags war gelb und freundlich.
    Am Tor schnitt ein alter Inder mit erdfarbener Haut mit einer winzigen Sichel das Gras. Die Frauen des Kochs und des Mali knieten vor den Dienstbotenkammern und mahlten Currybrei auf der Steinscheibe.
    Etwas drehte Flory das Herz um. Es war einer jener
    Augenblicke, wenn man sich einer großen Veränderung und
    Verschlechterung in seinem Leben bewußt wird. Denn er war
    sich plötzlich darüber klargeworden, daß er im Grunde seines Herzens froh war, zurückzukehren. Dieses Land, das er haßte, war jetzt sein Heimatland, sein Zuhause. Er hatte hier zehn Jahre gewohnt, und jedes Stückchen seines Körpers war aus
    burmanischem Boden gebildet. Szenen wie diese - das fahle Abendlicht, der Gras schneidende alte Inder, das Quietschen der Karrenräder, der Flug der Silberreiher - alles war heimatlicher für ihn als England. Er war in einem fremden Land tief
    verwurzelt, vielleicht am allertiefsten.
    Seitdem hatte er sich nicht einmal um Heimaturlaub
    beworben. Sein Vater war gestorben, dann seine Mutter; und seine Schwestern, unangenehme Frauen mit Pferdegesichtern, die er nie gemocht hatte, hatten geheiratet, und er hatte fast den Kontakt mit ihnen verloren. Jetzt band ihn nichts mehr an
    Europa außer den Büchern. Denn ihm war klargeworden, daß
    nur das Zurückgehen nach England kein Heilmittel für die
    Einsamkeit war; er hatte das besondere Wesen der Hölle
    begriffen, die für Anglo-Inder vorbehalten ist. Ach, die armen, gelangweilten Wracks in Bath und Cheltenham! Diese
    grabähnlichen Pensionen, in denen Anglo-Inder in allen Stadien des Verfalls herumsaßen, die alle davon redeten und redeten,
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    was damals im Jahre ‘88 in Boggleywalah gewesen war! Die
    armen Teufel, sie wissen, was es heißt, sein Herz in einem fremden und verhaßten Lande gelassen zu haben. Es gab, das sah er deutlich, nur einen Ausweg. Jemanden finden, der sein Leben in Burma teilen würde - aber es wirklich teilen, sein inneres, geheimes Leben mit ihm teilen und von Burma
    dieselben Erinnerungen mitnehmen, die er mitnahm. Jemand,
    der Burma so liebte wie er und es so haßte wie er. Der ihm dabei helfen würde, zu leben, ohne etwas zu verbergen, nichts
    unausgesprochen zu lassen. Jemand, der ihn verstand: einen Freund, darauf kam es hinaus.
    Einen Freund. Oder eine Frau? Diese ganz unmögliche Sie.
    Jemand wie Mrs. Lackersteen zum Beispiel? Eine verdammte
    Memsahib, gelb und mager, die bei Cocktails in Skandalen
    wühlte, mit den Diens tboten gemeinsame Sache machte,
    zwanzig Jahre im Lande lebte, ohne ein Wort von seiner
    Sprache zu können. Nein, bitte, lieber Gott, so eine nicht.
    Flory lehnte sich über das Tor. Der Mond verschwand hinter der dunkeln Wand des Dschungels, aber die Hunde he ulten
    noch. Ein paar Verse von Gilbert kamen ihm in den Sinn, ein vulgäres, albernes Reimgeklingel, aber es paßte - etwas wie
    ›Unterhaltung über deinen komplizierten Gemütszustand‹.
    Gilbert war ein begabter Kerl. Liefen all seine Sorgen also einfach darauf hinaus? Einfach unmännliches, kompliziertes Gewinsel; Armeskleinesreiches-Mädchen-Zeug? War er weiter
    nichts als ein Faulenzer, der seine Muße dazu benutzte,
    eingebildete Wehwehchen zu erfinden? Eine geistige Mrs.
    Wititterly? Ein Hamlet ohne Poesie? Vielleicht. Und wenn ja, wurde es dadurch erträglicher? Es ist nicht weniger bitter, weil es vielleicht eigene Schuld ist, sich in Schande und grauenhafter Sinnlosigkeit dahintreiben und verkommen zu sehen und die
    ganze Zeit zu wissen, daß irgendwo drinnen doch noch die
    Möglichkeit zu einem anständigen Menschen steckt.
    Nun ja, Gott schütze uns vor Selbstmitleid! Flory ging wieder
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    auf die Veranda, nahm das Gewehr und zielte, leicht
    zusammenzuckend, auf den Pariahund. Es gab einen
    widerhallenden Knall, und die Kugel vergrub sich irgendwo auf dem Platz, weit vom Ziel. Eine maulbeerfarbene Beule bildete sich an Florys Schulter. Der Hund kläffte erschrocken, gab Fersengeld, dann setzte er sich fünfzig Meter weiter hin und begann wieder sein rhythmisches

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