Tage in Burma
beim Waschen ihrer Strümpfe im Waschbecken zu ertappen. Die Mieterinnen, scharfzüngige, gallige Witwen, liefen wie die Spatzen hinter
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einer Brotkruste dem einzigen Mann im Hause hinterher, einem milden, kahlköpfigen Geschöpf, das in La Samaritaine arbeitete.
Bei den Mahlzeiten überwachte jede die Teller der anderen, um zu sehen, wer die größte Portion bekommen hatte. Das
Badezimmer war eine dunkle Höhle mit leprösen Wänden und
einem wackeligen, grünspanbedeckten Badeofen, der fünf
Zentimeter hoch lauwarmes Wasser in die Wanne spuckte und
dann störrisch aufhörte. Der Bankier, dessen Kinder Elizabeth unterrichtete, war ein fünfzigjähriger Mann mit eine m dicken, verlebten Gesicht und einem kahlen, dunkelgelben Schädel, der an ein Straußenei erinnerte. Am zweiten Tag nach ihrer Ankunft kam er in das Schulzimmer der Kinder, setzte sich neben
Elizabeth und kniff sie sofort in den Ellbogen. Am dritten Tag kniff er sie in die Wade, am vierten in die Kniekehle, am fünften etwas oberhalb. Von da an gab es jeden Nachmittag ein
stummes Ringen zwischen ihnen, und sie kämpfte und kämpfte, die Hand unter dem Tisch, um diese Frettchenhand abzuwehren.
Es war eine gemeine, garstige Existenz. Sie erreichte sogar Tiefen von ›Garstigkeit‹, von denen Elizabeth bisher nichts geahnt hatte. Aber was sie am meisten deprimierte, ihr am
stärksten das Gefühl gab, daß sie in eine furchtbare Unterwelt absinke, war das Atelier ihrer Mutter. Mrs. Lackersteen gehörte zu den Leuten, die ohne Dienstboten gänzlich
zusammenbrechen. Sie lebte in einem ruhelosen Alptraum
zwischen Kunstmalerei und Haushalt und arbeitete an keinem von beiden. In unregelmäßigen Abständen ging sie in eine
›Schule‹, wo sie graue Stilleben malte unter der Anleitung eines Meisters, dessen Technik auf schmutzigen Pinseln beruhte; im übrigen murkste sie zu Hause elend mit Teekannen und
Bratpfannen herum. Der Zustand ihres Ateliers war für
Elizabeth mehr als deprimierend; er war böse, satanisch. Es war ein kalter, verstaubter Schweinestall, in dem der Fußboden mit Büchern und Zeitungen bedeckt war, Generationen von
Kochtöpfen auf dem verrosteten Gasherd in ihrem Fett
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schlummerten, wo das Bett vor dem Nachmittag nicht gemacht wurde und überall - an jedem denkbaren Platz, wo man
darauftrat oder sie umwarf, Dosen mit farbschmutzigem
Terpentin und halbvolle Kannen mit kaltem schwarzem Tee
herumstanden. Wenn man von einem Sessel ein Kissen aufhob, fand man darunter einen Teller mit den Überresten eines
pochierten Eis. Sobald Elizabeth zur Tür hereintrat, pflegte sie herauszuplatzen:
»O Mutter, liebste Mutter, wie kannst du nur? Schau doch, wie dieses Zimmer aussieht! Es ist einfach schrecklich, so zu leben!«
»Das Zimmer, Liebes? Was ist damit? Ist es unordentlich?«
»Unordentlich! Mutter, mußt du denn diesen Teller mit Haferbrei mitten auf dem Bett stehenlassen? Und diese Töpfe!
Es sieht wirklich fürchterlich aus. Wenn nun jemand
hereinkommt!«
Der entrückte, jenseitige Ausdruck, den Mrs. Lackersteen
annahm, sobald sich etwas Arbeitsähnliches zeigte, trat in ihre Augen.
»Keiner meiner Freunde würde sich daran stoßen, Liebes. Wir sind eben Bohémiens, wir Künstler. Du verstehst nicht, wie völlig beansprucht wir alle von unserer Malerei sind. Du hast kein künstlerisches Temperament, weißt du, Liebe.«
»Ich muß versuchen, ein paar von diesen Töpfen
sauberzumachen. Ich kann den Gedanken, daß du so lebst,
einfach nicht ertragen. Was hast du mit der Scheuerbürste
gemacht?«
»Die Scheuerbürste? Nun, laß mich nachdenken, ich weiß,
daß ich sie irgendwo gesehen habe. Ach ja! Ich habe sie gestern benutzt, um meine Palette zu reinigen. Aber wenn du sie tüchtig in Terpentin auswäschst, wird sie wieder sauber.«
Mrs. Lackersteen setzte sich und fuhr fort, ein Blatt
Skizzenpapier mit einem Conté-Farbstift vollzuklecksen,
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während sich Elizabeth in der Wohnung umtat.
»Du bist so wunderbar, Liebes. So praktisch! Ich weiß gar
nicht, von wem du das geerbt hast. Für mich ist die Kunst
einfach alles. Ich fühle sie wie ein großes Meer in mir aufwogen. Sie schwemmt alles Gemeine und Kleinliche aus dem Dasein hinweg. Gestern habe ich meinen Lunch aus Nash’s Magazine gegessen, um keine Zeit mit dem Abwaschen von Tellern zu vergeuden. Ist das nicht eine gute Idee? Wenn man einen sauberen Teller braucht, reißt man einfach ein Blatt von der Zeitung ab«, usw. usw.
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