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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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usw.
    Elizabeth hatte in Paris keine Freunde. Die Freunde ihrer
    Mutter waren entweder Frauen von derselben Prägung oder
    ältere, matte Junggesellen, die von eine m kleinen Einkommen lebten und klägliche Halbkünste ausübten wie Holzschnitzen oder Porzellanmalerei. Sonst sah Elizabeth nur Ausländer, und sie lehnte alle Ausländer en bloc ab; oder wenigstens alle männlichen Ausländer mit ihren billig aussehenden Anzüge n und abstoßenden Tischmanieren. Sie hatte in dieser Zeit einen großen Trost, nämlich in die amerikanische Bibliothek in der Rue de l’Elysée zu gehen und die illustrierten Zeitschriften anzusehen. Manchmal am Sonntag oder an ihrem freien
    Nachmittag saß sie dort stundenlang an dem großen glänzenden Tisch, träumerisch im Sketch, Tatler, Graphic oder Sporting and Dramatic blätternd.
    Ach, was für Freuden waren dort abgebildet!
    »Zusammenkunft zur Parforcejagd auf dem Rasen von Charlton Hall, Lord Burrowdeans bezauberndem Landsitz in
    Warwickshire.«
    »Die Ehrenwerte Mrs. Tyke-Bowlby im Park mit ihrem
    prachtvollen Schäferhund Kublai Khan, der diesen Sommer bei Cruft’s den zweiten Preis gewann.«
    »Sonnenbad in Cannes. Von links nach rechts: Miss Barbara
    Pilbrick, Sir Edward Tuke, Lady Pamela Westrope, Captain
    -109-
    ›Tuppy‹ Benacre.«
    Wunderschöne, wunderschöne goldene Welt! Zweimal blickte
    Elizabeth das Gesicht einer alten Schulkameradin von einer Bildseite entgegen. Der Anblick schnitt ihr ins Herz. Da waren sie alle, ihre alten Schulkameradinnen mit ihren Pferden und Automobilen und ihren Männern in Kavallerieregimentern; und hier war sie, an diese gräßliche Arbeit gefesselt, an diese gräßliche Pension, an ihre gräßliche Mutter! War es möglich, daß es kein Entrinnen gab? Konnte sie auf ewig zu dieser
    schmutzigen Gemeinheit verurteilt sein, ohne Hoffnung, jemals wieder in die anständige Welt zurückzukehren?
    Es war mit dem Beispiel ihrer Mutter vor Augen nicht
    unnatürlich, daß Elizabeth einen gesunden Abscheu vor der
    Kunst hatte. Sogar jedes Übermaß an Intellekt
    -
    ›Gehirnakrobatik‹ war ihr Wort dafür - war meistens in ihren Augen etwas ›Garstiges‹. Richtige Leute, fand sie, anständige Leute - Leute, die auf Moorhühner Jagd machten, sich nach Ascot begaben, eine Yacht in Cowes hatten - waren keine
    Gehirnakrobaten. Diese Leute gaben sich nicht mit so Zeug wie Bücherschreiben ab und fuchtelten nicht mit Malpinseln herum; sie befaßten sich auch nicht mit »hochgestochenen« Ideen -
    »Hochgestochen« war ein Schimpfwort in ihrem Vokabular.
    Und wenn sie, wie es ein- oder zweimal geschah, einem echten Künstler begegnete, der lieber sein Leben lang ohne Verdienst arbeiten wollte als sich einer Bank oder Versicherungsfirma verkaufen, dann verachtete sie ihn weit mehr als selbst die Dilettanten im Kreise ihrer Mutter. Daß ein Mann sich bewußt von allem abkehrte, was gut und anständig war, und sich für etwas Sinnloses aufopferte, das zu nichts führte, war schändlich, erniedrigend, böse. Sie fürchtete das Dasein einer alten Jungfer, aber sie hätte es tausendmal lieber ihr Leben lang ertragen, als solch einen Mann zu heiraten.
    Als Elizabeth fast zwei Jahre in Paris war, starb ihre Mutter ganz plötzlich an Leichenvergiftung. Es war ein Wunder, daß sie
    -110-
    nicht früher daran gestorben war. Elizabeth war nichts geblieben als etwas weniger als hundert Pfund. Onkel und Tante
    telegrafierten sofort aus Burma: sie möchte kommen und bei ihnen bleiben, und ein Brief würde folgen.
    Mrs. Lackersteen hatte eine Weile über diesen Brief
    nachgegrübelt, den Federhalter zwischen den Lippen, den Blick auf die Seite mit ihrem zarten, dreieckigen Gesicht gesenkt, wie eine nachdenkliche Schlange.
    »Ich nehme an, wir müssen sie hier auf jeden Fall ein Jahr lang behalten. Wie lästig! Aber im allgemeinen heiraten sie innerhalb eines Jahres, wenn sie einigermaßen aussehen. Was soll ich dem Mädchen schreiben, Tom?«
    »Schreiben? Ach, schreib einfach, sie wird hier verdammt viel leichter einen Ehemann finden als zu Hause. Etwas der Art.«
    »Mein lieber Tom!Was für unmögliche Sachen du sags t!«
    Mrs. Lacksteen schrieb:
    »Natürlich ist dies hier eine sehr kleine Station, und wir sind oft und lange im Dschungel. Ich fürchte, Du wirst es schrecklich langweilig finden nach den Vergnügungen von Paris. Aber im Grunde haben diese kleinen Stationen in mancher Hinsicht ihre Vorteile für ein junges Mädchen. Sie wird sich in unserer Gesellschaft

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