Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
Vom Netzwerk:
wünschen!«
    Gottlieb lacht:
    »Zaubern Sie auch Bier?«
    »Bier?«
    »Oder Wein?«
    »Roten oder weißen?« fragt der Harlekin, und natürlich hat Gottlieb es nur als Scherz gemeint, aber der Harlekin fragt ihn allen Ernstes: »Roten oder weißen?«
    Gottlieb verlegen:
    »Wenn Ihre Kunst mit sich reden läßt, offen gestanden, ein roter ist mir lieber, ein französischer zum Beispiel –«
    »Und Sie?« fragt der Harlekin, indem er sich höflich an den Ringer wendet, der nach und nach zugehört hat.
    »Ich?«
    »Roten oder weißen?«
    »Hören Sie mal«, sagt der Ringer: »das ist aber nicht Ihr Ernst.«
    »Warum nicht?«
    »Warum nicht!« wiederholt Gottlieb, der wirklich Durst und kein Geld mehr hat: »Wenn der Herr ein wirklicher Zauberer ist –.«
    Man einigt sich auf einen roten, einen Dôle, und schon hat der Harlekin auch den Kellner gerufen, genauer gesagt, er hat mit den Fingern geschnalzt, worauf Knicks sich verbeugt, um so höflicher, je schlechter man ihn behandelt.
    »Bringen Sie einen Dôle«, sagte der Harlekin: »Und drei Gläser.«
    Knicks hat sich nicht getäuscht, Flaschenweine werden in dieser Pinte selten bestellt, er hat sich nicht umsonst verbeugt. Knicks weiß sofort, was er dem seltenen Ereignis schuldet: er nimmt die Serviette und wischt den Tisch. Gottlieb und der Ringer schauen ihn nur so an. Wie er das macht, wie er die Serviette schwingt und davonschwebt!
    »Hören Sie mal«, sagt Gottlieb sehr ernsthaft: »so war das nicht gemeint –«
    »Was?«
    »Das ist doch keine Zauberei, mein Herr, das ist doch kein Kunststück. Einfach bestellen! Das kann doch jeder, wenn er Geld hat.«
    »Wenn er Geld hat«, sagt der Harlekin mit bedeutsam gezogenen Augenbrauen, ohne sich weiter auszusprechen; auf ein zweites Schnalzen seiner Finger ist bereits der Zigarrenjunge erschienen, um einen ganzen Turm von Schachteln auf den Tisch zu bauen.
    »Was darf es sein?«
    »Offen gestanden«, sagt Gottlieb: »ich kenne mich da wirklich nicht aus –.«
    Der Harlekin rät ihm zu einer schönen Brasil, Dannemann zum Beispiel. Und also geschieht es. Das duftet schon anders als Stumpen! Auch der Ringer entschließt sich zu einer Brasil,Marke Dannemann. Der Junge zeigt ihnen, wie man das Knöpfchen abdreht, dann gibt er Feuer, und der Harlekin bezahlt …
    »Besten Dank«, sagt Gottlieb nach den ersten Zügen, das dunkle Ding betrachtend: »Schmeckt großartig – Geld, ja, das müßte man zaubern können!«
    »Nichts leichter als das.«
    »Ich meine richtiges Geld –«
    Leider kommt Knicks, der Kellner, der das Gespräch unterbricht. Und vor Dritten spricht man nicht von Geld. Schweigend schauen sie zu, wie er den Dôle entkorkt, rauchen an ihrer Brasil, wartend, schweigend, bis die Gläser gefüllt sind und der Kellner sich wieder entfernt.
    »Prost!« sagt der Harlekin.
    Sie trinken.
    »Ich verstehe die Menschen nicht«, sagt der Harlekin: »Morgen ist Montag, und da hocken sie wieder alle an ihren Pulten. Tagein, tagaus. Woche um Woche. Jahr um Jahr. Ein ganzes Leben lang. Nichts als arbeiten! Ich weiß nicht, wie die Leute das aushalten.«
    »Ich auch nicht«, sagt Gottlieb.
    »Und dennoch machen sie es.«
    »Ja«, sagt Gottlieb.
    »Auch Sie?«
    »Ja –«, sagt Gottlieb, nimmt einen Schluck, dann starrt er nachdenklich vor sich nieder: »Was bleibt uns anderes übrig! Wir sind keine Zauberer …«
    Der Harlekin lächelt.
    »Ja«, sagt auch der Ringer in seiner langsamen Art: »Was bleibt uns anderes übrig?«
    Der Harlekin füllt ihre Gläser.
    »In einer Viertelstunde werde ich verhaftet«, sagt der Ringer, »wenn ich nicht an die Arbeit gehe. Vertrag ist Vertrag, sagen sie –«
    »Verhaftet? Wieso?«
    Der Ringer erzählt seinen Fall.
    »Verhaftet!« sagt Gottlieb: »Das ist ja die Höhe, das ist ja die Höhe –«
    Kurzum, das Gespräch ist das übliche, die Klage des kleinen Mannes, der kein Zauberer ist, das heißt, er kann sich das Geld nicht anders beschaffen als durch Arbeit, durch eigene Arbeit. Der Harlekin hört zu, füllt ihre Gläser und lächelt … Einmal kommt ein altes Weib, eine Bettlerin, und der Harlekin gibt nicht eine Münze, sondern eine Note; erschrocken küßt sie seine Hand. Einmal kommt ein Blumenkind; auch ihm gibt er eine Note, ohne eine Blume anzunehmen; eine Note; einen vollen runden Monatslohn – Gottlieb und der Ringer, verstummend mit offenen Mündern, blicken einander nur an, ihre Zigarre zwischen den Fingern … Und ringsum immer das Tingeltangel, es bimmelt, es

Weitere Kostenlose Bücher