Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
erinnert auch an die Erfahrung, wenn wir einen leeren Rahmen nehmen, und wir hängen ihn versuchsweise an eine bloße Wand, und vielleicht ist es ein Zimmer, das wir schon jahrelang bewohnen: jetzt aber, zum erstenmal, bemerken wir, wie eigentlich die Wand verputzt ist. Es ist der leere Rahmen, der uns zum Sehen zwingt. Zwar sagt uns der Verstand, daß der Putz, den ich umrahme, nicht anders erscheinen kann als auf der ganzen Wand; er ist ja nicht anders, in der Tat, nicht um ein Korn; aber er erscheint, er ist da, er spricht. Warum werden Bilder denn gerahmt? Warum wirken sie anders, wenn wir sie aus dem Rahmen lösen? Sie heben sich nicht mehr von den Zufällen der Umgebung ab; sie sind, einmal ohne Rahmen, plötzlich nicht mehr sicher; sie beruhen nicht mehr auf sich allein; man hat die Empfindung, sie fallen auseinander, und man ist etwas enttäuscht: sie scheinen schlechter, plötzlich, nämlich schlechter als sie sind. Der Rahmen, wenn er da ist, löst sie aus der Natur; er ist ein Fenster nach einem ganz anderen Raum, ein Fenster nach dem Geist, wo die Blume, die gemalte, nicht mehr eine Blume ist, welche welkt, sondern Deutung aller Blumen. Der Rahmen stellt sie außerhalb der Zeit. Insofern ist ein ungeheurer Unterschied zwischen der Fläche, die innerhalb eines Rahmens liegt, und der Fläche überhaupt, die endlos ist. Gewiß wären es üble Maler, die darauf vertrauen, daß sie es mit dem Rahmen retten können; gemeint ist nicht, daß alles, nur weil es innerhalb eines Rahmens stattfindet, die Bedeutung eines Sinnbildes bekomme; aber es bekommt, ob es will oder nicht, den Anspruch auf solche Bedeutung. Was sagt denn ein Rahmen zu uns? Er sagt: Schaue hieher; hier findest du, was anzusehen sich lohnt, was außerhalb der Zufälle und Vergängnisse steht; hier findest du den Sinn, der dauert, nicht die Blumen, die verwelken, sondern das Bild der Blumen, oder wie schon gesagt: das Sinn-Bild.
All dies gilt auch vom Rahmen der Bühne, und natürlich gäbe es noch andere Beispiele, die den erregenden Eindruck, den schon die leere Bühne macht, wenigstens streckenweise erläutern; man denke an die Schaufenster, die ganze Lager zeigen, Schaufenster, die uns niemals fesseln, und an die anderen, die sich auf ein bescheidenes Guckloch beschränken: eine einzige Uhr liegt da, ein einziges Armband, eine einzige Krawatte. Und das Seltene erscheint uns schon von vornherein wertvoll. Es gibt solche Fensterlein, die manchmal wie kleine Bühnen sind, man steht gerne davor, guckt in eine andere Welt, die mindestens den Anschein von Wert hat. Und das Verwandte zur wirklichen Bühne läge darin: auch auf der Bühne sehe ich nicht Tausende von Narren, sondern einen, den ich noch lieben kann, nicht Tausende von Liebenden, deren Liebe, ins Gattungshafte wiederholt, widerlich wird, sondern zwei oder drei, deren Schwüre wir ernstnehmen können wie unsere eigenen. Es lohnt sich hinzuschauen. Ich sehe Personen; ich sehe nicht Millionen von Arbeitern, wobei ich dann keinen einzigen mehr sehe, leider Gottes, sondern ich sehe diesen einzigen, der die Millionen vertritt und einzig wirklich ist: ich sehe einen Bühnenarbeiter, der schimpft, und eine junge Schauspielerin, die einen Apfel ißt und guten Morgen sagt. Ich sehe, was ich sonst nicht sehe: zwei Menschen.
Café de la Terrasse
In allen Zeitungen findet man die Bilder von Bikini. Etliche Stunden, nachdem die Atombombe losgegangen ist, steht der Rauch wie ein schwarzer Blumenkohl. Mit einer gewissen Enttäuschung vernimmt man, daß die Kreuzer und Zerstörer, die in dem Atoll verankert lagen, noch ziemlich vorhanden sind, also nicht so, daß man sie aufs Brot streichen kann. Die Ziegen, die für diesmal die Menschen vertraten, leben sogar und käuen ihr Futter, als wäre nichts geschehen; die Affen vertragen es schon weniger. Das alles ändert nichts an der grundsätzlichen Freude,die dieses Ereignis auslöst. Bei Hiroshima, als Hunderttausende daran starben, war solche Freude nicht möglich. Diesmal ist es nur eine Hauptprobe. Auch die Palmen stehen noch. Aber das alles, kein Zweifel, wird sich verbessern lassen, und der Fortschritt, der nach Bikini führte, wird auch den letzten Schritt noch machen: die Sintflut wird herstellbar. Das ist das Großartige. Wir können, was wir wollen, und es fragt sich nur noch, was wir wollen; am Ende unseres Fortschrittes stehen wir da, wo Adam und Eva gestanden haben; es bleibt uns nur noch die sittliche Frage. Vielleicht dürfte man nicht von
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