Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Einmal möchte er es wissen. Er schwimmt hinaus, solange die Kräfte reichen, und sie reichen so weit, bis man kein Land mehr sieht.
BERZONA
Schon der fünfte Sommer hier. Nur noch selten nehme ich das Beil, um die Bäume auszuholzen, oder die handlichere MACCHETTA (Eisen in der Form eines Fragezeichens); wir verdschungeln. Heute mit der Sense, die auch rostet, gegen die Brennesseln-Flut. Das sind Anfälle; sie enden mit der Schweiß-Dusche-Bier-Einsicht: ein rechter Dschungel macht sich gar nichts aus unseren Anfällen –
SPIEGEL, 28. 7. 1969
»Rund 2380 westdeutsche Unternehmer und Kapitaleigner hatten 1965 ein Monatseinkommen von durchschnittlich je 190 000 Mark. Im gleichen Jahr verdiente ein Drittel der Lohn- und Gehaltsempfänger höchstens 500 Mark: binnen zwölf Monaten so viel wie die Millionäre in 23 Stunden.«
INSERAT DER SCHWEIZERISCHEN VOLKSBANK
»Ist es wahr, daß immer nur die Reichen reicher werden? Das behauptet eine Theorie aus dem 19. Jahrhundert. Sie hat sich als falsch erwiesen. Denn es ist schon lang nicht mehr so, daß sich die Gesellschaft in wenige Reiche (die immer reicher werden) und in viele Arme (die immer ärmer werden) teilt. In unseren Verhältnissen kann heute fast jeder Erwerbstätige Vermögen bilden, er muß nur wollen. Und verglichen mit früheren Zeiten und Zuständen sind wir praktisch alle reich.«
AFFICHE IN EINER ANDERN BANK
»Hassen Sie Bargeld?«
Fragebogen
1.
Hassen Sie Bargeld?
2.
Warum?
3.
Haben Sie schon ohne Bargeld leben müssen?
4.
Wenn Sie einen Menschen in der Badehose treffen und nichts von seinen Lebensverhältnissen wissen: woran erkennen Sie nach einigem Gespräch (nicht über Geld) trotz allem den Reichen?
5.
Wieviel Geld möchten Sie besitzen?
6.
Gesetzt den Fall, Sie sind bedürftig und haben einen reichen Freund, der Ihnen helfen will, und er gibt Ihnen eine beträchtliche Summe (zum Beispiel damit Sie studieren können) und gelegentlich auch Anzüge von sich, die noch solid sind: was nehmen Sie unbefangener an?
7.
Haben Sie schon gestohlen:
a.
Bargeld?
b.
Gegenstände (ein Taschenbuch am Kiosk, Blumen aus einem fremden Garten, eine Erstausgabe, Schokolade auf einem Camping-Platz, Kugelschreiber, die umherliegen, ein Andenken an einen Toten, Handtücher im Hotel usw.)?
c.
eine Idee?
8.
Solange Sie kein Vermögen und ein schwaches Einkommen haben, reden die Reichen vor Ihnen ungern über Geld und um so lebhafter über Fragen, die mit Geld nicht zu lösen sind, z. B. über Kunst: empfinden Sie dies als Takt?
9.
Was halten Sie von Erbschaft:
a.
wenn Sie eine in Aussicht haben?
b.
wenn nicht?
c.
wenn Sie einen Säugling betrachten und dabei wissen, daß er, wie immer er sich entwickle, die Hälfte einer Fabrik besitzen wird oder eine Villa, ein Areal, das keine Inflation zu fürchten braucht, ein Ferienhaus auf Sardinien, fünf Miethäuser in der Vorstadt?
10.
Sind Sie ein Sparer? Und wenn ja:
11.
Erklären Sie, wieso die Staatsbank bestimmt, wieviel das Geld wert ist, das Sie als Lohn erhalten und gespart haben, und zu wessen Gunsten sich Ihre Ersparnisse plötzlich verflüchtigen?
12.
Gesetzt den Fall, Sie stammen aus einfachen Verhältnissen und verfügen unversehens über ein großes Einkommen, so daß das Geld für Sie sozusagen keine Rolle mehr spielt: fühlen Sie sich als Person unverändert? Und wenn ja: finden das Ihre bisherigen Freunde auch oder finden sie, das Geld spiele wohl eine Rolle, indem es Sie als Person deformiert?
13.
Was kostet zurzeit ein Pfund Butter?
14.
Wenn Sie in der Lage sein sollten, von Zinsen leben zu können: halten Sie sich deswegen nicht für einen Ausbeuter, weil Sie, obschon Sie von den Zinsen leben könnten, selber auch arbeiten?
15.
Fürchten Sie sich vor den Armen?
16.
Warum nicht?
17.
Gesetzt den Fall, Sie sind ein großer Mäzen, d.h. Sie verteilen an Leute, die Sie persönlich schätzen, teilweise die beträchtlichen Zinsen aus der Arbeit andrer Leute: verstehen Sie die öffentliche Hochachtung, die Sie als Mäzen genießen, und Ihre eigene Unbefangenheit dabei?
18.
Was tun Sie für Geld nicht?
19.
Timon von Athen hat eines Tages, um die Freundschaft seinerFreunde zu prüfen, nur Schüsseln voll Wasser aufgetischt; er erfuhr dabei, was er eigentlich schon wußte, und gab sich bitter vor Enttäuschung über die Menschen, denn siehe, sie kamen immer nur seines
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