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Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Reichtums wegen und waren keine wahren Freunde. Finden Sie seine großen Flüche über die andern berechtigt? Offenbar hatte der reiche Timon von Athen gemeint, Freundschaft kaufen zu können.
     
    20.
    Möchten Sie eine reiche Frau?
     
    21.
    Wie erklären Sie es sich, daß Sie als Reicher es gerne zeigen, wenn Sie sich etwas versagen, was Sie sich ohne weiteres leisten könnten (z. B. eine Yacht), und daß Sie sich fast kindlich freuen, wenn Sie irgend etwas besonders billig erworben haben, geradezu spottbillig, so daß jedermann es sich hätte leisten können, und warum sind Sie zugleich erpicht auf unersetzbare Objekte, beispielsweise Ikonen, Säbel, Porzellan aus der Ming-Zeit, Kupferstiche, Werke toter Meister, historische Münzen, Autographen, Gebetsteppiche aus Tibet usw.?
     
    22.
    Was mißfällt Ihnen an einem Neureichen:
a.
daß er ohne Heraldik auskommt?
b.
daß er vom Geld spricht?
c.
daß er nicht von Ihnen abhängig ist?
     
    23.
    Wie rechtfertigen Sie eignen Reichtum:
a.
durch Gotteswillen?
b.
daß Sie es einzig und allein Ihrer persönlichen Tüchtigkeit verdanken, d.h. durch die Annahme, daß andere Fähigkeiten, die sich nicht in Einkommen umsetzen, minderwertig seien?
c.
durch würdiges Benehmen?
d.
indem Sie sich sagen, daß nur die Reichen überhaupt eine Wirtschaft in Gang bringen können zum Gedeihen aller, d.h. durch Unternehmergeist?
e.
durch Caritas?
f.
durch Ihre höhere Bildung, die Sie einem ererbten Reichtum verdanken oder einer Stiftung?
g.
durch asketische Lebensart?
h.
durch vorbildliche Gewissenhaftigkeit in allen sittlichen Belangen, die das bürgerliche Profit-System nicht berühren, sowie durch Verinnerlichung der Gegebenheiten, Sensibilität für Kulturelles, Geschmack usw.?
i.
indem Sie beträchtliche Steuern zahlen?
k.
durch Gastgeberschaft?
l.
indem Sie sich sagen, daß es seit Menschengedenken immer Arme und Reiche gegeben hat und also immer geben wird, d.h. daß Sie gar keine Rechtfertigung brauchen?
     
    24.
    Wenn Sie nicht aus eignem Entschluß (wie der Heilige Franziskus), sondern umständehalber nochmals arm werden: wären Sie den Reichen gegenüber, nachdem Sie als Gleichgestellter einmal ihre Denkweise kennengelernt haben, so duldsam wie früher, wehrlos durch Respekt?
     
    25.
    Haben Sie einmal eine Banknote mit dem Porträt eines großen Dichters oder eines großen Feldherrn, dessen Würde von Hand zu Hand geht, angezündet mit einem Feuerzeug und sich angesichts der Asche gefragt, wo jetzt der verbürgte Wert bleibt?
     
     
    BERZONA, August 1969
     
    Besuch von zwei sehr jungen Mädchen, die sofort, kaum haben sie sich am Granit-Tisch gesetzt, ihre Frage stellen: Wie ist Freiheit möglich? Die eine, Barbara, hat eben mit ihrem Vater (Lehrer) diskutiert; die andere, Verena, kann oder will mit ihrem Vater (Bankier) nicht diskutieren, »sonst stecken sie mich in ein Heim«. Was beide wollen: »die absolute Unabhängigkeit, ohne dabei auf Kosten anderer zu leben.« Das Bankiers-Kind sieht nur einen Weg: nach Amsterdam oder London, untertauchen ohne Adresse, ohne väterliches Geld, gammeln. Das Lehrers-Kind will sich der falschen Ordnung auch verweigern, nicht in die Abhängigkeit vom Geld geraten, »aber etwas Sinnvolles machen«; sie will auf der Schule bleiben, Lehrerin werden und unabhängig, indem sie sich nichts aufschwatzen läßt, was sie nicht braucht. Verena: »Und das geht eben einfach nicht.« Barbara: »Du brauchst doch ein Minimum an Geld.« Verena: »Dann bist du schon drin.« Barbara: »Ich nicht, wenn ich nicht will; ich brauche eben kein Tonband-Gerät.« Verena: »Mein Tonband-Gerät, darauf kann ich sofort verzichten.« Barbara: »Wovon lebst du denn als Gammlerin?« Verena: »Ich hasse meinen Vater ja nicht, aber zu Hause gehe ich kaputt, das versteht er nicht.« Barbara: »Du hast ja gehört, mein Vater ist auch dagegen, daß du einfach gammelst.« Verena: »Meiner versteht nicht einmal, wovon ich rede. Ich spinne, meint er« usw. Diskussion bei Himbeersaft. Was ich für den richtigen Weg halte? Beide, von Herkunft und Temperament verschieden, sind sich einig im Ekel vor dem Wohlstand einer Umwelt, die zum Wohlstand nötigt. Barbara: »Nur gammeln, das ist auch kein Ziel.« Verena: »Du hast ja gehört, was mein Vater sich unter meinem Lebenvorstellt.« Barbara: »Das mußt du ja nicht machen. Nach der Schule machst du, was du richtig findest, aber du hast etwas gelernt. Beim Gammeln verkommst du nur.« Verena: »Ich mache jede Arbeit, wenn ich

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