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Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Stunde später) sieht man mehr.
     
    Abend mit Zen-Buddhist; indem er die bekannte Geste des Denkers von Rodin macht, lacht er: So kann man nicht denken!
     
    Vormittag bei NÔ-Übungen, Gespräch mit dem Leiter der Schule: er sitzt aufrecht wie Buddha, schön wie Buddha; Hölzchen-Architektur mit Ausblick auf Hochbahnen, Kamine, Industrie usw.; er spricht leise, nebenan übt einer auf der Trommel; Sohn aus einer NÔ-Dynastie: »Ich bin 40, langsam verstehe ich, was NÔ ist.« Die japanische Höflichkeit, keine Widerrede, sie nicken bei jeder Frage, HEI, sie verbeugen sich, um ihr Geheimnis zu schützen.
     
    Box-Kampf mit Fußtritten in die Leber und an den Kopf hinauf; der Getroffene fällt wie ein Toter und muß abgeschleppt werden, während der Sieger hüpft und jauchzt.
     
    Wochenende im japanischen Haus meines Übersetzers, KOJI NAKANO, Fischerdorf; die Kinder fragen, ob ich, weil so dick, ein General sei. Geschwätzigkeit der Frau ist in Japan ein gesetzlicher Scheidungsgrund. Ihr Kicher-Lachen: Zeichen höflicher Zustimmung oder was ist es? Wenn ich etwas Alltägliches sage (»Ich habe keinen Durst«), plötzliches Kichern; mit der japanischen Frau vor einem Berg toter Fische, die zerhackt sind und blutig und stinken, sie blickt eine Weile, dann kichert sie.
     
    Steingärten, Moosgärten
     
    Der stille Herr mit großer Glatze im kaiserlichen Garten: JUAN MIRO, er sitzt lange und schaut, sie sammeln das Herbstlaub unter den Bäumen und legen drei besonders schöne Herbstblätter wieder unter den Baum.
     
    Mütter mit Kind auf dem Rücken, der kleine schwarze Haarschopf wackelt vogelhaft aus dem Bündel, das Kind ist asiatischer als die Umwelt; Eindruck im Bus: die Zukunft wird asiatischer.
     
    OSAKA, Besichtigung der Werft, wo sie die größten Tanker der Welt bauen. Die Firma ersetzt den Clan. Ich stehe in Helm und Werkjoppe, eine Nummer größer für Besucher aus dem Abendland; ich frage und nicke, verstehe das eine und andere, weiß nicht, was das Wissen mir frommt.
     
    Tourismus als Existenz-Urlaub.
     
    Berge klein, Inseln klein, Krusel-Wald mit niedrigen Kiefern, Bambus, Dickicht überragt von vereinzelten Zedern; die bizarre Silhouette des Vordergrunds, Astwerk vor Ferne, die wie leere Seide ist. Wenn man die Malerei eines Landes kennt und endlich das Land sieht; Natur als Plagiat. Karpfen-Teiche, Lotos, Schwäne, Kraniche, Zwergbäume in Töpfen. Kunst und Natur sei eines nur.
     
    Industrie-Landschaft fast ohne Landschaft; Hütten-Städte, Baracke an Baracke, Slum.
     
    Massage japanisch: das Mädchen spaziert barfuß auf der Wirbelsäule, nachher fühle ich mich herrlich –
     
     
    1969
     
    »Einst hat man die Völker nach ihrer Hautfarbe, der Breite ihrer Nasenwurzel, der Schädelform und dem Körperwuchs katalogisiert. Die moderne Völkerkunde interessiert sich für solche Äußerlichkeiten weniger; man hat herausgefunden,daß sich die Völker viel genauer auf Grund der Ideen und Wertvorstellungen, die ihnen besonders wichtig sind, unterscheiden lassen. Für uns steht die Idee der Freiheit des Menschen in selbstgewählter Gemeinschaft an erster Stelle.«
    (S. 15)
    »Die soziale Landesverteidigung besteht in der Erhaltung gesunder sozialer Zustände, damit das Leben im freiheitlichen Staat für alle Menschen lebenswert ist und einem Gegner zur Aufhetzung unsres Volkes und zur Untergrabung unsrer politischen Ordnung keine Angriffsflächen geboten werden.«
    (S. 31)
    »Lange bevor es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung kommt, schon mitten im Frieden arbeitet der Feind unermüdlich daran, Mißtrauen und Zwietracht zu säen, unser natürliches Selbstgefühl zu zerstören und unsere innere Widerstandskraft auszuhöhlen.«
    (S. 145)
    »Wir haben im Frieden alles vorgekehrt, was in unsern Kräften steht. Wir dürfen der Gefahr entgegenblicken. Wir sind bereit./Diejenigen, die uns verderben wollen, säen planmäßig Zweifel und Angst. Wir glauben ihnen nicht./Wir erschrecken nicht vor sogenannten wissenschaftlichen Theorien, die Untergang von Völkern und Kulturen oder gar der Welt voraussagen. Niemand kann das wissen. Wir sind kritisch./Unser Leben und Schicksal steht in der Hand Gottes. Er allein weiß um unsere Zukunft. Wer an ihn glaubt, fürchtet sich nicht.«
    (S. 146)
    »Die Schweiz reagiert, wie ein kräftiger und gesunder Organismus auf Infektionen reagiert.«
    (S. 152)
    »Der Feind arbeitet mit allen Mitteln daran, unsere innere Kraft zu brechen … Bei allem, was wir hören, sehen

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