Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
dem Wald auf. Bei näherer Betrachtung sah ich mich einem zerklüfteten Abhang gegenüber, der etwa drei Meter in die Tiefe führte. Dort begann eine Ödnis, die eine Mulde oder ein Krater zu sein schien. Ich wäre beinahe wirklich über diese kleine Klippe gestürzt, doch es gelang mir, rechtzeitig abzubremsen.
Das zottelige Tier mit dem kahlen Schädel jedoch hatte soeben den Sprung auf die Ebene gewagt und lag nun, alle viere von sich gestreckt, als erbärmliches Häuflein dort unten. Ich hörte ein eindeutiges Knacksen, als einer seiner Fußknöchel brach. Irgendwie gelang es ihm in seiner Verzweiflung jedoch, sich wieder aufzurappeln, dann hastete es im leichten Galopp davon. Erst jetzt kommt mir der Gedanke – vorhin war ich angesichts seines Anblicks wohl noch zu perplex –, dass das Tier zu jener Spezies gehören musste – vielleicht handelte es sich dabei aber sogar um eine sehr primitive Dämonenart –, die den weniger verdammten Völkern wie Menschenaffen, Aborigines usw. zur speziellen Verfügung steht, damit sie deren Fell und Fleisch nutzen können. Praktischerweise sind die Köpfe der Tiere bereits vom Fleisch befreit und so allzeit bereit, auch ihren dekorativen Zweck zu erfüllen. G*** sei gedankt für kleine Gefälligkeiten wie diese.
Der Kontrast zwischen dem überfüllten Wald und dieser gähnenden Freifläche war ein solcher Schock für mich, dass ich anfangs nur wie ein erstarrtes Reh dastand. Es fühlte sich beinahe an wie ein Elektroschock, als springe man von einer hohen Klippe in eiskaltes Wasser. Ich schnappte nach Luft, mein ganzer Körper spannte sich an und einen Moment lang zögerte ich, ob ich nicht doch umdrehen und mich wieder kopfüber in das Feuer stürzen sollte, so schwer fiel es mir, mich an den Anblick zu gewöhnen, der sich vor mir erstreckte.
Die Ebene schien sich bis ins Unendliche auszudehnen. Aber das tat sie nicht: An ihrem Ende ragte ein mächtiger Vulkan auf, aus dessen zerstörtem Gipfel ein riesiger Atompilz aus wallendem schwarzen Rauch und giftigen Gasen aufstieg. Ich fragte mich, ob ich die Quelle der ständigen Verdunkelung des Himmels entdeckt hatte. An den Seiten des gigantischen Kegels floss keine Lava herab, aber überall auf der Ebene lag heiße Glut verstreut, überall loderten kleine Feuer. Die weißen Glutstellen waren die Überreste zahlreicher Lavabomben, die während des Ausbruchs wie Meteoriten aus dem Vulkan geschossen waren. Sie hatten auch den Wald entzündet.
Aus dem Krater des Vulkans ertönte ein ohrenbetäubendes Heulen, das wie ein Wirbelsturm klang. Es fühlte sich an, als würde man mir Bleistifte in die Ohren rammen – und ich kann aus Erfahrung sprechen, seit ich in einem meiner Uni-Kurse eingenickt bin und der Ausbilder darauf bestand, mir die verpasste Lektion sozusagen in die Ohren zu schreiben.
In die vulkanischen Eruptionen mischte sich auch noch ein anderes Heulen. Mir wurde bewusst, dass dies die Quelle jenes Jammerns war, das manchmal, je nach Windrichtung, zusammen mit dem Wind sogar bis in die Universität getragen wurde. Es entsprang in der kreisrunden Ebene, die allem Anschein nach möglicherweise selbst der Krater eines riesigen Vulkans war.
Hunderte … Tausende menschlicher Schädel bedeckten die Ebene vor mir, die wie der gespaltene, rissige Boden eines ausgetrockneten Sees aussah. Nur hier und da kämpfte sich ein einsamer struppiger Busch empor. Unzählige Köpfe, wie die Reihen in einem knochentrockenen Salatfeld. Ich hätte sie für die Trophäen einer Massenenthauptung gehalten, hätten sie nicht geschrien und geschluchzt.
Es war offensichtlich, dass diese Menschen bis zum Hals eingegraben worden waren. Angesichts ihrer Nähe zu dem Vulkan vermutete ich, dass sie in Lava steckten, die mittlerweile erkaltet war. Vielleicht schon seit Jahren. Vielleicht schon seit Generationen. Stellt euch einfach die in Pompeji begrabenen Menschen vor – nur, dass sie eben noch leben.
Hinter mir stieg die Hitze auf und presste sich durch den heftigen, dröhnenden Wind gegen meinen Rücken. Ich hörte, wie schwere Äste krachend zu Boden fielen. Das Feuerinferno wollte mich über den Rand treiben. Obwohl ich gesehen hatte, dass das Tier auf festem – eher zu festem – Boden gelandet war, wurde ich von der irrationalen Angst erfasst, dass ich genau wie all die anderen verschluckt werden würde, falls ich sprang. Aber als ich über meine Schulter blickte und die Flammen sah, wusste ich, dass ich es tun musste. Ja, ich konnte
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