Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
Ich brachte es nicht über mich, an ihren Händen oder Füßen anzufangen – nicht nach all den Schmerzen, die ich ihr ohnehin schon zugefügt hatte. Sie stöhnte und stieß hin und wieder ein lautes Seufzen aus. Ich konnte ihr nicht mehr ins Gesicht schauen.
Es gelang mir, den ersten Nagel herauszuziehen. Sofort widmete ich mich dem zweiten.
»Meine Flügel sind wahrscheinlich ruiniert«, murmelte sie undeutlich.
»Wirst du denn noch fliegen können?«
»Fliegen?« Sie hob mühsam ihren Kopf. »Wer hat denn gesagt, dass ich fliegen kann?«
Ich hatte die Affenteufel mit den Flügeln zwar nie fliegen gesehen, aber trotzdem stets angenommen, dass sie es könnten, wenn sie wollten. Genau das antwortete ich.
»Die können auch nicht fliegen. Einige Dämonen können sich in die Lüfte schwingen, meinesgleichen aber nicht.«
»Und wofür sind euch dann Flügel gewachsen?«
»Gewachsen? Meinst du nicht eher, dass sie sich entwickelt haben? Gar nichts entwickelt sich. Siehst du, das ist genau die Art der Denkweise, die dich hierher gebracht hat.« Sie unterbrach sich und stieß ein Grunzen aus, als ich einen weiteren Nagel heraushebelte. »Es gibt Vögel mit Flügeln, die gar nicht fliegen, richtig? Pinguine und Strauße? Der Schöpfer hat meinesgleichen Flügel gegeben, ebenso wie Er dem Pfau sein wunderschönes Schwanzgefieder geschenkt hat. Es gefällt Ihm einfach so.«
Tja, warum ihr keine Flügel geben, wenn Ihm gerade der Sinn danach stand? Weshalb ihr nicht dieses außergewöhnliche Gesicht schenken? Es war genau wie bei der Gottesanbeterin, die ich in der Universität gefunden hatte: geheimnisvolle Schönheit um der Schönheit willen.
Schließlich, nachdem ich mir wirklich alle Mühe gegeben und mich völlig verausgabt hatte – meine Handflächen waren voller Blasen und an meinen Fingern klebte ihr Blut –, zog ich den letzten Nagel aus ihren Flügeln. Sie fielen in sich zusammen, wurden von krampfartigen Zuckungen erfasst und begannen dann zu flattern, so als wollten sie sich selbst wieder mit Blut versorgen. Auch nachdem es ihr gelungen war, sie wieder ein wenig unter Kontrolle zu bringen, zitterten sie immer noch merklich. Aus der Nähe konnte ich sehen, wie die dickeren Adern dort, wo ihre Flügel aus ihrem Rücken wuchsen, im Rhythmus ihres Blutstroms pulsierten.
Dann wandte ich mich ihren Händen zu.
Als ich ihre erste Hand befreite, drehte mir ihr Stöhnen den Magen um. Ich fühlte mich, als sei ich selbst ein Dämon und foltere einen der Verdammten. Die Rollen hatten sich vertauscht. Die Menschen, die sie überwältigt und hier festgenagelt hatten, mussten Gefallen an diesem Tausch gefunden haben. Angesichts der Körperhaltung, in der sie sie zurückgelassen hatten, fragte ich mich, ob sie sie wohl vergewaltigt hatten … ich hatte jedoch Angst, sie danach zu fragen.
Sie streckte ihre Arme über ihren Kopf und krallte sich mit den Fingern in den tiefen Furchen der Rinde fest, um nicht nach vorne zu stürzen, während ich – wie in Anbetung – vor ihr kniete und die Nägel löste, die in ihren Füßen steckten. Bald war der erste Fuß frei. Dann, mit letzter Anstrengung und Muskelkraft, zog ich schweißgebadet auch den letzten Nagel heraus. Die Dämonin ließ sich nach vorne auf den Boden fallen, legte die Stirn auf dem Waldboden ab, stützte sich auf Ellbogen und Knie auf und streckte ihren Hintern in die Luft, während ihre Flügel sich zitternd über ihren Körper breiteten, wie ein in sich zusammengefallenes Zelt aus lebendiger Haut.
»Es tut mir leid«, sagte ich.
Dann richtete sie sich vor mir auf – so plötzlich und so groß und genau auf meiner Augenhöhe –, dass ich heftig zusammenzuckte.
»Danke, Kleiner«, säuselte sie. Sie versuchte, anmaßend zu klingen, so als habe sie sich wieder vollkommen unter Kontrolle. Eine stolze Kriegerin, eine Amazone mit Fledermausflügeln. Ich konnte aber kaum ihre geschwollenen Augen, ihre herunterhängenden Lider und die Anspannung in ihren Mundwinkeln übersehen. Sie fühlte sich beschämt angesichts all dessen, was man ihr angetan hatte. Erniedrigt, weil ich es gesehen hatte. Weil sie meine Hilfe benötigt hatte. Weil sie vielleicht sogar gestorben wäre, wenn ich nicht gekommen wäre.
Ich warf den Speer neben meinen Füßen ins Gras. Sie blickte zu ihm hinunter und beugte sich dann nach vorn, um ihn aufzuheben. Als sie sich wieder aufrichtete, zuckte sie zusammen und presste eine flache Hand auf ihren Bauch. Ich schluckte heftig – ich
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