Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
aus aufwendig verflochtenen schwarzen Leitungen und Apparaturen, an denen überall schorfiger Rost klebte, der aussah wie getrocknetes Blut. Außerdem surrte, gongte, klapperte, heulte, klingelte, zwitscherte, zischte und rumpelte das Maschinengebäude so heftig, dass alles in seiner unmittelbaren Umgebung vibrierte. Aus Ventilatoren, die über seine gesamte Länge verteilt waren, quollen Dampfschwaden und wirbelten wie Geister durch die Luft, so als entwichen sie aus dem gigantischen Obelisken eines Grabmals.
Am Fuße dieses metallenen Berges stand ein schäbiges, kümmerliches Hotel aus Ziegelsteinen, das von seinen benachbarten Brüdern erdrückt zu werden schien. Ich ging hinein. Hinter der Rezeption wartete ein Mann. Wie man mir bereits in der Bank gesagt hatte, würde mich eine Übernachtung eine der Münzen kosten. Der Mann sagte nur: »Eine Münze pro Nacht.« Ganz offensichtlich hatte nie jemand diesen Münzen, auf denen weder Worte noch Zahlen standen, einen Namen gegeben.
»Äh … erst mal nur eine Nacht. Kann ich hier etwas zu essen kaufen?«
»Wir können dir für eine Münze einen Teller Brühe, ein Stück Brot und eine Tasse Wasser bringen.«
»In Ordnung. Das hätte ich dann auch gerne. Danke.«
Der Besitzer rief ein Mädchen im Teenageralter mit schmutzigen Haaren aus einem der Hinterzimmer zu sich, und sie führte mich zu meinem Zimmer im dritten Stock. Die Aussicht aus dem einzigen Fenster war durch das mächtige Maschinengebäude versperrt, dessen Lärm die Fensterscheiben hörbar erzittern ließ. Der Anblick des Bettes entschädigte jedoch dafür, so dünn die Matratze auch aussehen mochte.
Unter den gegebenen Umständen konnte ich dem Mädchen kein Trinkgeld geben – aber ich hatte ja ohnehin kein Gepäck. Trotzdem blieb sie im Türrahmen stehen. Nach einigem Zögern sagte sie: »Für eine Münze kann ich dich heute Abend noch mal besuchen kommen.«
Ich war entsetzt, vor allem angesichts ihres Alters. Und sie tat mir leid. Ich wusste nicht, ob der Besitzer es von ihr erwartete oder ob sie diese Dinge tat, um sich etwas zu Essen beschaffen zu können. Da ich sie nicht beleidigen wollte, lächelte ich sie freundlich an und erwiderte: »Nein, danke. Ich bin … sehr müde … Ich muss mich jetzt ausruhen.«
Sie lächelte, scheinbar peinlich berührt, verschwand ohne ein weiteres Wort … und ließ mich in diesem Zimmer zurück, sodass ich die Geschehnisse und Eindrücke meines ersten Tages als Einwohner der Stadt Oblivion niederschreiben konnte.
Fünfzigster Tag
Heute ist mein freier Tag bei der Arbeit, deshalb dachte ich, ich könnte mich endlich wieder meinem vernachlässigten Tagebuch widmen. Ich glaube, Lyre hat sich gefreut, mich wiederzusehen, nachdem er über eine Woche in dem Sack gesteckt hat.
Meinen zweiten Tag als Stadtbewohner verbrachte ich damit, die Gegend rund um das Hotel nach Arbeit abzugrasen, schließlich hatte ich nur noch eine einzige Münze in der Tasche. Endlich, gegen Ende des Tages, fand ich in einer mehrere Blocks entfernten Fabrik einen Job. Das Fabrikgebäude ist zwar nur zwei Stockwerke hoch, erstreckt sich aber über eine weite Fläche, aus der sich ein riesiger, einsamer Schornstein erhebt. Ihr geteertes Dach ist von kleinen Hütten und Zelten übersät, wie ein von Flöhen durchzogenes Hundefell, und viele Einwohner dieser winzigen Dach-Barackensiedlung arbeiten ebenfalls in der Fabrik.
Eigentlich ist alles, was ich tun muss, an einer Art Fließband zu stehen, das mit weißen Markierungen versehen ist, ungefähr so wie bei einem Lineal. Hin und wieder befinden sich aber auch zusätzliche rote Markierungen auf dem Band, die seltsamerweise jedoch nicht in regelmäßigen Abständen angebracht sind. Einige dieser roten Markierungen liegen ziemlich dicht beieinander, und dann sehe ich wieder zehn Minuten lang keine einzige. Ich habe keine Ahnung, wie lang das Fließband ist und wie weit es in die mechanischen Eingeweide dieses Ortes hineinreicht. Aber wie auch immer: Jedes Mal, wenn eine dieser roten Markierungen erscheint und auf gleicher Höhe mit der Markierung ist, die in die Begrenzung des Fließbandes eingeritzt ist, muss ich einen Hebel betätigen. Das ist alles. Aber es ist eine sehr wichtige Aufgabe, wie mein Gruppenleiter mir nachdrücklich versichert hat. Wenn ich mich meinen Tagträumen hingebe und auch nur eine Markierung verpasse, wenn ich nur einmal nicht den Hebel umlege, dann werde ich gefeuert.
Es entzieht sich aber nicht nur meiner
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