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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Thomas
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Waren über den Schalter hinweg an und reichten den Leuten zum Tausch kleine Beutel mit Geld. Verkaufte die Bank diese Waren wieder umgehend an Händler, belieferte sie damit Läden, die ihr selbst gehörten, trieb sie Handel mit anderen Städten oder benutzte sie sie, um ihre menschlichen Angestellten zu bezahlen? Möglicherweise trafen sogar all diese Dinge zu, auch wenn ich annahm, dass das Ganze ohnehin nicht wirklich von Bedeutung war. Die Bank war nur eine Möglichkeit, ein gewisse Ordnung, ein gewisses System für die Stadt zu schaffen. Und Geld ist dazu nun mal besonders gut in der Lage.
    Während ich mich langsam mit der Schlange nach vorne bewegte, beobachtete ich, wie die Arbeiter hinter dem Schalter Lebensmittel, Kleidung sowie diverse Handarbeiten und Waren auf Karren luden und sie durch verschiedene Türen entlang der schwarzen Wand aus der Halle zogen. Dann tauchte aus einer der weiter entfernt liegenden Metalltüren einer dieser blasenköpfigen, Halb-Insekt-Halb-Mensch-Dämonen der Verwaltungskaste auf. Ich zweifelte nicht daran, dass er der Direktor der Bank war – oder zumindest einer ihrer wichtigsten leitenden Angestellten, auch wenn ich keine Ahnung hatte, ob er oder der Aufseher die höhere Position innehatte.
    Ja, es war für mich nun mehr als offensichtlich, dass es sich bei Oblivion – im Gegensatz zu Caldera, das allein von Menschen gegründet, erbaut und bewohnt gewesen war – um eine Stadt handelte, die den Verdammten nur zur Verfügung gestellt wurde. Die Dämonen beschränken ihre Anwesenheit hier zwar auf ein Minimum, aber sie hielten die Zügel in der Hand und zogen daran, wann immer es ihnen nötig schien.
    Ich hatte allerdings keineswegs vor, ihnen in die Falle zu gehen und sie als unsere Wohltäter zu betrachten. Ich musste mich daran erinnern, dass Oblivion keine Zufluchtsstätte war, sondern nur eine andere Kulisse für unser Leiden. Darüber hinaus fielen die Engel, wie ich gelernt hatte, gelegentlich gern mit kompletten Armeen in der Hölle ein, um Schlachten gegen bestimmte Städte zu schlagen und zu vergewaltigen und zu brandschatzen wie wilde, lüsterne Wikinger. Oblivion gleicht einem aufwendigen Schloss aus Bauklötzen, das ein Kind sorgfältig gebaut hat, nur, um es dann mit sadistischem Vergnügen wieder zu zertrampeln.
    Der skelettartige Dämon stakste in unheimlichem Zeitlupentempo davon, und dann war ich an der Reihe, an den Schalter zu treten. Die Kassiererin war eine hübsche Asiatin, der man ein B für Buddhist in die Stirn eingebrannt hatte. Ich zeigte ihr, was ich eintauschen wollte: einen weißen Bauernkittel mit langen Ärmeln, schwarze Shorts und ein Paar kratzige Wollsocken. Sie akzeptierte alles ohne Bedenken, aber anstatt eines hübschen kleinen Beutels schob sie drei einzelne Münzen über den schwarzen Marmortresen. Etwas entmutigt nahm ich sie an mich. In jede der Münzen – so schwer und grau als seien sie aus Blei – war in eine Seite eine jener feuerköpfigen Sphinxen geprägt, in die andere ein Auge, das mich an Frank Lyre auf diesem Tagebuch erinnerte, bis mir bewusst wurde, dass es den Schöpfer darstellen sollte.
    »Was, denken Sie, bekomme ich dafür, was Essen und Unterkunft angeht?«, fragte ich die Frau.
    »Kommt darauf an, wohin Sie gehen. Vielleicht drei Nächte im Hotel. Oder drei gute Mahlzeiten.«
    »Ich glaube, dann versuche ich es mit einer Kombination aus beidem. Dankeschön.«
    Ich verließ die Bank auf der Suche nach einer Unterkunft. Ich glaube, ich fühlte mich zu entmutigt durch die Tatsache, dass es in Oblivion so hart werden würde, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen, um auch die Sache mit dem Job direkt angehen zu können. Als ich weiter durch die Stadt wanderte, sah ich jedoch noch weit mehr als nur Folterfabriken: Ich kam an Schreinereien und qualmenden Schmieden vorbei und an kleinen Ziegelfabriken, in denen es geheimnisvoll klapperte und hämmerte. Ich versuchte, optimistisch zu sein – ich konnte nicht erwarten, mein Glück an einem Tag auf der Straße zu finden. Wenn ich es jedoch hier schaffte, dann konnte ich es überall schaffen.
    Nachdem ich mehrere Blocks hinter mir gelassen hatte, näherte ich mich einem monumentalen Turm, der den geschmolzenen Himmel wie eine Säule zu stützen schien. Dort, wo die meisten Wolkenkratzer, in denen entweder normale Bürger oder die Dämonen Oblivions lebten, üblicherweise Fenster hatten, verfügte dieser nicht über ein einziges, und seine Seiten bestanden ausschließlich

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