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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Thomas
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hatten, unsere Körper neu wachsen zu lassen, hatten wir dann nicht auch die Macht, unsere Zellen selbst zu gestalten? Und dann beschlossen sämtliche Einwohner Oblivions, sämtliche Bewohner der Hölle, all ihre Zellen miteinander zu verschmelzen. Aber hätten wir demnach nicht auch einen anonymen, gemeinschaftlichen Verstand haben müssen? Ich erkannte jedoch, dass dieses Bewusstsein ganz allein mein Verstand war, meine eigene Persönlichkeit, mein eigenes individuelles Wesen. All die anderen waren verloren, darin erloschen, als sie in mich eindrangen. War ich mächtiger als sie? Nein, begriff ich schließlich. Und dann hatte ich plötzlich eine Erleuchtung. Ich hatte eine Offenbarung …
    Das war der Grund, weshalb ich in der Hölle noch nie jemanden getroffen hatte, den ich kannte. Oder jemanden, von dem ich schon einmal gehört hatte. Keine historischen Persönlichkeiten, keine Berühmtheiten, keine Familienmitglieder. Diese Millionen, Milliarden von Menschen verloren sich nicht in mir – sie kehrten nach Hause zurück.
    Ich nahm sie nach und nach in mir auf und empfing mit meinem Körper jeden Mann, jede Frau, jedes Kind – jeden Dämon, jeden Engel, jede Gottesanbeterin – in der gesamten Hölle. Jeder Einzelne von ihnen verschlungen, verarbeitet, ein Teil von mir. Jeder eine einzelne Zelle in meinem Körper, die immer weiter und weiter wuchs, wie ein Ozean, der sich mit jedem Regentropfen nährt – der Regen so sintflutartig wie am Anbeginn der Erde. Ich schwoll an, wurde größer, ein mächtiger Riese, der höher aufragte als die sechs Leuchttürme der Aufseher, höher als all die Wolkenkratzer. Ich durchbrach mit meinem Kopf die Decke aus glühender Lava. Das grelle Licht dahinter blendete mich so stark, dass ich zunächst dachte, ich stecke noch immer in der glühend heißen Lava. Aber nein. Es war tatsächlich Licht. Und dann dachte ich, ich sei im Himmel. Nein. Noch nicht. Vielleicht niemals …
    Ich wuchs immer weiter, so als söge meine Seele immer mehr Materie durch die Sohlen meiner Füße auf. Doch dann stellte ich fest, dass mein ektoplasmischer Körper die Illusion seiner äußeren Erscheinung, seine physische Substanz, verloren hatte. Während ich jedoch an Substanz verlor, gewann das Licht um mich herum seinerseits an Substanz, so als hätten wir getauscht und als würde es nun durch mich genährt.
    Im nächsten Moment tauchten in diesem Negativ der Tiefen des Weltalls rote Sterne auf. Einen von ihnen konnte ich aus der Nähe betrachten: ein leuchtend roter Planet, glatt wie ein Flusskiesel. In der Ferne dahinter ein weiterer … genauso leuchtend rot, nur ein wenig dunkler. Und dann noch einer – so nah, dass ich unzählige weitere sehen konnte, die sich in seiner glänzenden Oberfläche spiegelten, auch wenn ich mein eigenes Astralgesicht darin eigenartigerweise nicht erkennen konnte. Ein Planet nach dem anderen, immer neue, immer mehr – viel mehr als im gesamten Universum.
    Schon bald waren sie überall um mich herum. Aber während ich immer höher schoss, bis ich schließlich keinen festen Boden mehr unter meinen Füßen spüren konnte – entweder war ich nach oben geflogen oder der Boden hatte sich unter mir aufgelöst –, schienen sich auch die Planeten unter mir ein Stück zu entfernen. Dabei waren sie so zahlreich, dass sie bald aussahen wie ganze Cluster und Galaxien. Darunter mischten sich nun auch immer wieder Planeten in anderen Farben. Weiße. Graue. Es könnten aber auch Asteroiden gewesen sein, da sie nicht dieselbe regelmäßige Form hatten wie die glatten roten Himmelskörper. Diese himmlischen Körper …
    Das Licht rundum verlor seinen blendenden Schein. Nun erkannte ich etwas hinter den roten Sternenkonstellationen: einen Nebel, der stetig an Düsternis und Farbe zunahm. Ein Körper, der allmählich Gestalt annahm, während ich meinen verloren hatte, und sich in reine Kraft, in reine Essenz verwandelte. Ich wusste, wessen Körper das war. Ich hatte keine Angst mehr, Seinen Namen auszusprechen. Ich war zu mächtig, um mich vor Vergeltung, vor Strafe zu fürchten. Hinter den hängenden Sternen verdichtete sich die Gestalt des Schöpfers.
    Ich befand mich in der Gegenwart Gottes.
    Er befand sich jedoch nicht hinter den roten Sternen, sondern vielmehr unter ihnen. Ich schien mich über Seinem noch immer im Verborgenen liegenden Kopf zu erheben. Wie ein Vorhang verbargen Ihn die tiefroten Galaxien. Obwohl ich inzwischen zu gigantischer Größe herangewachsen war, war Er

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