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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Thomas
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die Art von Menschen, so nehme ich jedenfalls an, zu denen sich die Engel bei der Ausübung ihrer sportlichen Aktivitäten am stärksten hingezogen fühlen.
    Das Einzige, was ich in jenem Moment jedoch wirklich mit Sicherheit wusste, war, dass ich unendlich froh war, dass der Korso nicht bei mir angehalten hatte, um sich sportlich zu betätigen.

Zweiundsechzigster Tag
    Ich habe mal gelesen, dass Träume sich oft über einen langen Zeitraum zu erstrecken scheinen, in Wirklichkeit aber nur wenige Minuten dauern. Oder waren es Sekunden? Verbogene, verdichtete, komprimierte Zeit.
    Letzte Nacht raste mein Leben nach dem Tod in einem Traum an mir vorbei.
    Anfangs war ich ein Junge – lebendig – und befand mich im Garten meiner Großmutter. Ich erlebte noch einmal den Moment, in dem ich eine Gottesanbeterin über ihren Fliederbusch krabbeln sah. Ich hatte diese Szene völlig vergessen – bis zu diesem Traum. Die Gottesanbeterin war allerdings grün, nicht violett.
    In der Ferne schwoll ein Donnern an, wie ein herannahender Zug. Ich rannte zur Vorderseite des Hauses, blieb auf dem hellgrünen Rasen des Vorgartens stehen und schützte meine Augen mit der Hand gegen die Sommersonne, während ein Motorradkorso an mir vorbeizog, auf seiner alljährlichen Pilgerfahrt zum Pine-Grove-Friedhof … auf dem auch mein Vater inzwischen begraben liegt. Auf dem, wie ich annehme, wohl auch ich begraben liege.
    Selbst in meinem Traum fragte ich mich, ob ich diese Dinge – die Gottesanbeterin, den Motorradkorso – wohl unterbewusst gestohlen hatte, sozusagen als Fundament für meine Erfahrungen in der Hölle. Selbst während des Träumens fragte ich mich, ob dies vielleicht nur ein Traum in einem Traum war …
    Als auch der letzte Motorradfahrer vorbeigerauscht war, legte ich meinen Kopf in den Nacken und starrte in die Sonne. Ihr feuriger Schein schien sich über den gesamten Himmel auszubreiten. Dann begann der Himmel mit einem Mal zu schmelzen. Das grellweiße, blendende Licht verwandelte sich allmählich in ein diffuseres, rötliches Leuchten. Als ich meinen Blick wieder auf die Straße richtete, sah ich, dass sie sich in Kopfsteinpflaster verwandelt hatte. Die hübschen Neuengland-Häuser der South Street waren einer soliden Mauer aus Ziegelhäusern gewichen. Sie sahen so greifbar aus; ich wusste jedoch, dass sie das nicht waren. Jeder einzelne dieser Ziegelsteine bestand aus demselben Äther wie mein Körper – komprimiert und verdichtet, nur anders gegossen.
    Ich beobachtete, wie einer der unzähligen Ziegel in einem der unzähligen Gebäude Oblivions zu wackeln und sich von seinem Platz zu lösen begann, sodass der Gips wie Staub herunterrieselte. Als der Ziegelstein sich schließlich befreit hatte, flog er auf meinen inzwischen erwachsenen Körper zu. Ich versuchte nicht, ihm auszuweichen. Der Ziegel traf mit dem sanftesten Hauch einer Berührung auf meinem Fleisch auf und verschwand dann in meinem Brustkorb.
    Dann löste sich ein weiterer Ziegel. Und noch einer. Dann ein vierter aus einem anderen Gebäude. Sie flogen aus verschiedenen Richtungen auf mich zu, wie die Pfeile auf den Heiligen Sebastian – all diese verschwommenen Streifen – und verschwanden in meinem Körper, während ich meine Arme wie Flügel ausbreitete, um sie zu empfangen.
    Ein Mann, der die Straße hinunterging, drehte sich plötzlich um, um das Schauspiel zu betrachten. Erschrocken rannte er davon. Als stünden seine Beine unter meinem Kommando, lenkten sie ihn jedoch in meine Richtung. Er stürzte kopfüber auf mich zu, und als er mit mir zusammenstieß, fühlte es sich wie lichter Nebel auf meinem Körper an. Dann war er verschwunden. Ich breitete meine Arme noch weiter aus. Meine Arme wurden länger. Ich war jetzt größer. Die Stadt nährte mich …
    Offensichtlich gegen ihren Willen rannte im nächsten Moment eine Frau um die Häuserecke und direkt in meine offenen Arme. Ich verschlang auch sie. Ein Fenster zerbrach, und ein Kleinkind schoss auf mich herab. Ich empfing es in meiner Brust.
    Eine Parade aus Engeln rauschte über die Straße auf mich zu. Einer nach dem anderen stürzte sich auf mich, und schon bald war ich höher gewachsen als das Hotel, in dem ich wohne.
    Eine riesige Meute strömte inzwischen auf mich zu, Körper fielen übereinander und stürzten wie Wellen über mir zusammen. Dämonen. Ich hielt nach Chara Ausschau, aber es war unmöglich, in der chaotischen Flut ein einzelnes Gesicht auszumachen.
    Wenn wir schon die Macht

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