Tagebuch der Apokalypse 02
Vertrauen muss man sich verdienen; so etwas kriegt man nicht geschenkt.
Nun war ich an der Reihe, unverblümte Fragen zu stellen. Ich wollte wissen, wo er gelernt hatte, aus tausend Metern Entfernung Kopfschüsse anzubringen.
»In Afghanistan.«
»Warum auch nicht? Was hat Sie zu uns geführt?«
»Ich war Freiheitskämpfer. Jedenfalls habe ich es geglaubt. Ich bin nach Illinois gekommen, um meinen Brüdern zu helfen. Bevor ich dazu kam, haben die Toten ihren Tanz begonnen.«
Ich beschloss, nicht weiter zu bohren, weil ich der Meinung war, dass diese Diskussion ein guter Tausch gegen die Option war, über die Ursachen der Explosion oder irgendwelche Remote Six betreffende Einzelheiten zu reden.
Ich schlug vor, die Trümmer nach brauchbaren Gegenständen zu durchsuchen. Er war einverstanden. Wir gingen in das Gebäude, vor dem Saien meinen Hals vor den Kreaturen gerettet hatte. Einige Untote hingen an Fleischerhaken; dem einen oder anderen fehlte ein Körperteil oder eine Extremität. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger Kochtopf, der wie der Suppenkessel einer Hexe aussah. Ich weiß, dass es kaum zu glauben ist, aber es sah tatsächlich aus, als hätten diese Leute die Toten gefressen. Die Kreaturen stierten uns an und rissen das Maul auf. Ich sah in dem Gebäude nichts von Nutzen, also zündeten Saien und ich es an und gingen raus, um unser Zeug zu holen.
Ich fragte ihn, ob er Draht hätte, da ich welchen brauchte, um etwas sicher zu transportieren. Er erwiderte verdutzt, er hätte keinen, wüsste aber genau, dass wir welchen in den verlassenen Autos finden würden. Er hatte Recht, aber irgendwie bekam ich bei der Vorstellung, mich unter eine Motorhaube zu beugen, eine Scheißangst. Ich dachte an das Ungeheuer mit dem Beil, das mich beinahe in zwei Hälften gehauen hätte. Wir sammelten unsere Ausrüstung ein und begaben uns zum Solarladegerät. Saiens Gesellschaft hatte meinen Eifer neu geweckt. Er schien alle zehn Schritte anzuhalten, zu lauschen und die vor uns liegende Ferne mit dem Feldste-eher abzusuchen. Vielleicht ist das der Grund, weswegen er noch lebt. Mir fiel auf, dass er ein übergroßes M-16 besaß. Ich erkundigte mich, woher es stammte. Als er es mir reichte, erzählte er, es auf dem Weg von Chicago nach Süden im Tower eines verlassenen FEMA- Camps gemopst zu haben. Bei näherer Inspektion entdeckte ich, dass die Knarre ein .308er mit Bulllauf war, ein SR-25. Auf das Zielfernrohr war ein kleines Holovisier montiert. Saien meinte, dass das Glas unter hundert Metern nichts taugte. Das Holovisier war für nähere Begegnungen gedacht. Die Waffe war im Vergleich zu meiner M4 äußerst schwer. Der Boden, auf dem wir gerade stehen, ist sehr weit von Chicago entfernt, und es ist mir schleierhaft, wie er diese Reise überhaupt gemacht hat. Ich bin kaum mehr als hundert Kilometer von hier abgestürzt und hätte schon fast zehnmal ins Gras beißen können.
Wir gingen los und lauschten den ganzen Rückweg über, bis dorthin, wo der Kombi seit Monaten stand. Es gefiel mir, mich ohne das ganze Zeug mit leichtem Gepäck zu bewegen. Bei der Rückkehr hatte ich einen regelrechten Horror vor dem Gewicht meines Rucksacks. Saien und ich teilten uns schnell alle Pflichten auf. Er baute die Batterie aus, während ich mich auf die Suche nach Draht machte. Das war das erste Problem. Wir konnten den Treibstoffzusatz nicht einfüllen, ohne in Erfahrung zu bringen, ob noch Sprit im Tank war. Es wäre eine Verschwendung der Lösung gewesen. Wir mussten die Batterie anschließen, Strom ins Armaturenbrett leiten und dann die Gebrauchsanweisung prüfen, um zu berechnen, wie viel Benzin im Tank war, damit man ihm die passende Mischung zuführen konnte. Das war zu viel Mathematik.
Als Saien die Batterie wieder zum Kombi schleppte, verließ ich unsere Operationsbasis. Ich hatte mein Multitool und die schallgedämpfte Pistole dabei. Ich ging zu dem VW- Käfer, um ihm die Gedärme rauszuschneiden, damit wir endlich nach Süden abhauen konnten. Die Explosionen und Schüsse machten mir Sorgen. Seitjanuar ist es noch nie passiert, dass eine Knallerei nicht irgendwelche wandelnden Leichen angezogen hätte. Ursache und Wirkung galt noch immer. Als ich mich dem Käfer näherte, sah ich schon einen auf der Straße, die hinter dem Wagen in die andere Richtung führte. Es war ein bewölkter Tag. Alles sah nach erneutem nervenden Sprühregen aus. Das typische Mistwetter, das den Menschen deprimiert.
Die Kreatur stand mitten auf
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