Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
Autominuten entfernt führt uns Khamis zur neuesten Errungenschaft der Volkskomitees: einer Ausgabestelle für kostenlose Grundnahrungsmittel. Dort drängeln sich die Menschen, alle halten ein grünes Heftchen hoch. „Das Familienbuch“, erklärt Khamis. Darin ist die Anzahl der Kinder vermerkt, und davon hängt ab, wie viel Mehl, Reis, Nudeln und Speiseöl der Familie ausgehändigt werden. „Das sind nicht die Beamten, sondern die freien Arbeiter“, erklärt Khamis. Viele hätten seit den turbulenten Tagen der Revolution keine Arbeit und müssten versorgt werden.
Die Grundnahrungsmittel seien Spenden aus Ägypten oder von bessergestellten Libyern, erläutert er. „In diesen Zeiten müssen sie alle zusammenhalten“, endet er und verabschiedet sich freundlich mit einem Witz. Sein Name „Khamis“ ist das arabische Wort für „Donnerstag“. Leider, sagt er, wird es bis nächsten Freitag dauern, bis das Land Gaddafi endlich ganz loswerden wird, grinst er, um dann zu weiteren revolutionären Taten zu schreiten.
Horrormeldungen aus Tripolis
Die Menschen in Tobruk haben aber auch begonnen, Hilfe für andere zu organisieren. In einer großen Sporthalle am Rande der Stadt befindet sich ein Zentrallager. Hier werden gespendete Medikamente und Grundnahrungsmittel aus Ägypten gesammelt und in andere Städte des Landes weitergeleitet. Hischam Tayyeb koordiniert die Operation. Mit einem etwas übermüdeten Blick sitzt er vor drei Telefonen. „Wir haben in allen Städten Krisenstäbe eingerichtet“, erzählt er. „Die rufen an, wenn etwas zur Neige geht, und wir schicken es dann los“, erläutert er das einfache System.
Leider könne nur der Osten des Landes beliefert werden. Ab dem Gebiet der Syrte ist Schluss. Dort kontrollieren noch Gaddafi und die Seinen das Geschehen. Die Ereignisse in den Städten, die jenseits davon liegen, wie die Hauptstadt Tripolis, verfolgen die Libyer im Osten des Landes, genauso wie der Rest der Welt, im Fernseher. Es gibt in Tobruk kein Büro und kein Haus, in dem nicht den ganzen Tag die arabischen Fernsehsender Al Jazeera oder Al Arabiya laufen. Auch der Hilfskoordinator Hischam Tayyeb diskutiert mit seinen Kollegen ständig über die neuesten Horrormeldungen aus Tripolis und Umgebung. Sie alle sind davon überzeugt, dass das Ganze bald mit der Ermordung oder dem Selbstmord von Gaddafi enden wird.
Fremdenführer Hajj Ali fährt seinen Gast zurück ins Hotel. Hinter uns hupt jemand ungeduldig und ohne Unterlass, weil die Straße wieder einmal blockiert ist. „Jetzt hast du 41 Jahre gewartet, bis Gaddafi weg ist“, ruft Hajj Ali aus dem heruntergekurbelten Fenster, „da kommt es doch auf ein paar Minuten auch nicht mehr an.“
Auf Facebook gepostet
27. Februar 2011, 13:37 Bin in Bengasi angekommen. Putze gerade mein Zimmer und mache mein Bett in einem Fünf-Sterne-Hotel. Der Zimmerservice ist geflüchtet.
28. Februar 2011, 7:26 Ich bin gerade in Bengasi aus dem Schlaf der Erschöpften aufgewacht und habe ein Live-Gespräch mit dem Ö3-Wecker um 7:30 verschlafen. Sorry. Zu meiner Verteidigung: Meine letzte Schaltung war mit der ORF-Sendung „Im Zentrum“ um Mitternacht.
1. März 2011, 13:30 Gestern wollte ich einen libyschen Chip für mein Handy in Bengasi kaufen. Alle ausverkauft. Daraufhin öffnet einer der Jugendlichen sein Handy, nimmt seinen Chip heraus und gibt ihn mir. „Du brauchst den als Journalist jetzt dringender als ich“, sagte er. Er hat sich strikt geweigert, Geld anzunehmen. Im La den haben sie mir dann noch Geld draufgeladen. „Für die Revolution“, meinten sie.
taz.de, 2.3.2011
Der alte Traum ist wahr geworden
In Bengasi haben sich die ersten unabhängigen Medien gegründet. Die Tageszeitung „Freies Libyen“ und ein Radioprogramm leben dabei vom Enthusiasmus der Menschen.
Bengasi. Eine Revolution will auch ihre Bürokratie haben. Und so gibt es nun das „Pressezentrum der Revolution der Jugend des 17. Februar“, direkt am Platz des Gerichts im Zentrum Bengasis gelegen. Gegen Vorlage eines Passes und eines internationalen Presseausweises werden die ersten Presseausweise des befreiten Libyen ausgehändigt. Natürlich darf der rot-schwarz-grüne Streifen nicht fehlen, die Farben der Revolution. Daneben lächelt der antikoloniale Volksheld Omar Mukhtar den ausländischen Journalisten an.
Die libysche Revolution hat noch keine Köpfe und will sie vielleicht auch gar nicht haben und präsentieren. Wie in Ägypten und Tunesien reagiert man auch
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