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Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Titel: Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim El-Gawhary
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aus der Fassung. Ihre Stimme bricht. „Wenn ich heute daran denke, dass ich so Sätze geschrieben habe wie ,Muammar Gaddafi, der König der Könige‘, wird mir ganz schlecht.“ Sie schreibt den Satz noch einmal auf ein Papier, blickt darauf. Eine Träne kullert über ihr Gesicht. „Ich wünschte, ich könnte die ganze Zeit meines Publizistikstudiums und meiner 23-jährigen Arbeit als Redakteurin unter Gaddafi wegwaschen“, sagt sie und macht eine Geste, als wolle sie ihr Gesicht waschen.
    Ein anderer Ort der Erinnerung, als Gaddafis Truppen noch Bengasi kontrollierten, liegt ein paar Kilometer von der Radiostation entfernt, in der Nähe des Stadtzentrums. „Al-Katiba“ nennen die Libyer bis heute noch ehrfürchtig diesen Ort, „die Militäreinheit“. Hier hatte die letzte Schlacht um die Stadt stattgefunden. Heute ist die Kaserne ein Ausflugsort. Besonders gefragt ist ein Besuch der unterirdischen Gefängnisse. Zu Hunderten pilgern die Menschen von Bengasi dorthin. Sie hatten zuvor keine Ahnung, dass sie existierten. Durch eine schwere Stahltür und eine Treppe runter steht man in dem geheimen Verlies. Licht kommt aus der Öffnung, die die Männer in den Beton hineingeschlagen hatten, als sie die Gefangenen dort gehört und gefunden hatten. „Das war der Ort hinter der Sonne“, flüstert einer der Besucher.
    Draußen auf dem Parkplatz der Kaserne herrscht buntes Treiben. Die meisten Libyer erschließen sich das elf Hektar große Gebiet der Kaserne per Auto. Oft, indem sie aus den Fenstern die schwarz-rot-grüne Fahne schwenken, mit drei, vier Kindern auf dem Schoß, und hupen. Suliman Al-Aguri geht das Ganze ruhig an. Er hat den Motor seines Autos abgestellt und blickt versonnen durch die Windschutzscheibe. Er möchte sich die grausamen Gefängnisse gar nicht ansehen, er sei einfach nur gekommen, um an diesem Ort zu sein und nachzudenken, sagt der Ölingenieur. Er arbeitet auf einem Ölfeld, 250 Kilometer von Bengasi entfernt. Vor einem Monat ist er zu seiner Schicht dorthin gefahren. Er hatte ein Bengasi fest in den Händen Gaddafis zurückgelassen und ist erst heute wieder in seine völlig veränderte Stadt zurückgekommen.
    Als er durch die Wüste hierher gefahren ist, habe es stark geregnet, überall schossen gelbe Blumen aus dem Sand, beschreibt er. „Ich habe angehalten, mir angesehen, wie die Wüste blüht, und gedacht, mein Gott, Gaddafi ist weg. In diesem Moment“, sagt er, „war ich sicher der glücklichste Mensch der Welt.“
    Auf Facebook gepostet
    2. März 2011, 12:42 Ich diskutiere gerade mit Kollegen unser weiteres Vorgehen, nachdem Gaddafi-Truppen 200 km westlich von unserem Standort Bengasi eine Offensive begonnen haben. Wir warten ab, wie sich die Lage entwickelt. Notfalls müssen wir uns absetzen.
    2. März 2011, 13:32 Ich war gerade in einer Kaserne in Bengasi, in der die Jugendlichen zur Verteidigung der Stadt in Schnellkursen geschult werden. Die Frage ist, ob ihr Enthusiasmus reicht, um im Ernstfall den Truppen Gaddafis etwas entgegenzusetzen, die heute Morgen im Osten eine Offensive begonnen haben.
    2. März 2011, 17:26 Entscheidung ist gefallen. Ich bleibe vorläufig in Bengasi. Ich glaube, im Moment ist es sicher.
    taz.de, 2.3.2011
    Heerscharen von Freiwilligen
    Die Stadt Bengasi ist das Zentrum der Aufständischen. Hunderte von Jugendlichen lassen sich in Schnellkursen zur militärischen Verteidigung ihrer Stadt ausbilden.
    Bengasi. „Sagt Gaddafi, wir kommen“, ruft einer der Jugendlichen, der sein Auto vor einer der Kasernen in der ostlibyschen Stadt Bengasi geparkt hat und mit seinen Freunden auf dem Weg in den Innenhof des Stützpunkts ist, um einen Schnellkurs zur Verteidigung seiner Stadt mitzumachen.
    Wie ein Lauffeuer hatte sich am Morgen die Nachricht verbreitet, dass Gaddafi-loyale Truppen eine Offensive begonnen haben, um an die Rebellen verlorengegangenes Gebiet im Osten Libyens zurückzuerobern. Doch statt vor Angst ihre Sachen zu packen und zu fliehen, waren die Jugendlichen am Morgen zu Tausenden in die Kasernen der Stadt geströmt, um militärisch geschult und eingeteilt zu werden.
    Im Visier der Gaddafi-Truppen liegt die Stadt Brega, 250 Kilometer westlich von Bengasi. Dort befinden sich wichtige Ölanlagen, ein Ölverladehafen und ein strategisch wichtiges Flugfeld. Zunächst verlautete, die Gaddafi-Truppen hätten die Stadt überrannt, dann hieß es wieder, die Rebellen hätten sie zurückerobert. Gleichzeitig flog Gaddafis Luftwaffe Angriffe gegen die

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