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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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in einem langen weißen Kleid. Allerdings floss ihr kein Wasser über den Rücken. Sie sah zu mir herüber, streckte die Hand aus und streichelte mein Gesicht. Ich schlug die Hände vor den Mund und konnte die Tränen kaum zurückhalten. »Mama«, flüsterte ich, und sie zog mich eng an sich. Sie löste die Umarmung erst nach einer ganzen Weile, dann nahm sie mein Gesicht in ihre Hände.
    Â»Wie ist es dir ergangen, mein Schatz?«, fragte sie.
    Ein in mir aufsteigender regelrechter Tsunami von Tränen machte es mir fast unmöglich, ihr zu antworten. Ich wollte ihr so vieles sagen, sie so vieles fragen.
    Â»Ich vermisse dich so«, war das Einzige, was ich hervorbrachte.
    Â»Ach, Liebes«, sagte sie. »Ich vermisse dich auch. Aber weißt du was? Es wird alles gut. Ich bin gar nicht so weit weg, versprochen.« Sie sah zu Graham hinüber. Ich wusste, dass sie gekommen war, um mit ihm zusammen zu sein. »Wie lange kannst du bleiben?«, fragte ich schnell. Sie sah zu Bonnie. »Nicht lange. Geister können nur zu Besuch kommen, wenn Not am Mann ist. Aber wir werden uns bald wiedersehen.« Sie wischte mir die Tränen von den Wangen, dann führte sie meine Hände zu ihrem Mund und küsste sie.
    Â»Ich liebe dich«, flüsterte ich, und sie lächelte, bevor sie sich neben den schnarchenden Graham aufs Sofa setzte und ihm den Kopf auf die Brust legte.
    Ich rannte nach oben in Margots Zimmer. Sie stand vor dem Spiegel und übte offenbar lautlos eine Rede.
    Ich konnte mich nicht beherrschen. »Margot!«, keuchte ich. »Mama ist unten, schnell!«
    Sie ignorierte mich und übte weiter ihre kleine Rede. Eine Rede, an die ich mich sehr gut erinnerte.
    Ich weiß, dass du sehr enttäuscht von mir bist, und ich weiß, dass Mama es auch wäre  … Ihre Augen füllten sich mit Tränen … aber wie Lady Macbeth schon sagte, was geschehen ist, kann man nicht ungeschehen machen. Ich habe viel darüber nachgedacht und beschlossen, das Kind zu bekommen. Ich überlasse es ganz dir, ob du mich jetzt rausschmeißt oder nicht.
    Ich hatte das Baby gesehen, als es gerade erst entstanden war, hatte beobachtet, wie es herumwirbelte und wuchs und sich schließlich einbettete, wie ein Diamant auf einem roten Kissen. Sein winziges Herz puckerte. Ein kleiner Junge. Mein Sohn.
    Margot beendete ihren Monolog und betrachtete sich noch eine Weile im Spiegel, wo unsere Gesichter kurzfristig verschmolzen. Wir waren Zwillinge aus unterschiedlichen Welten – dem Diesseits und dem Jenseits. Lediglich der Ausdruck in unseren Augen war unterschiedlich. Margots Blick war der eines Menschen, der vor einer Brücke steht, die über eine tiefe Schlucht führt. Mein Blick war der eines Menschen, der diese Brücke bereits überquert hat.
    Sie ging ganz langsam nach unten.
    Â»Papa?«
    Er schnarchte immer noch. Sie versuchte es noch einmal. Irina stupste ihn sachte an. Er wachte auf. Sofort bekam Margot Angst. Sie hatte gehofft, dass er weiterschlafen würde und sie erst noch mal davonkäme. Er schnellte hoch und sah sich um. Er bemerkte Margots Gesichtsausdruck.
    Â»Ist alles in Ordnung? Was ist passiert?« Er setzte sich ordentlich hin und suchte in seinen Haaren nach seiner Brille.
    Margot beruhigte ihn sofort: »Nichts, Papa, gar nichts.« Haha.
    Â»Komm, setz dich doch«, forderte er sie müde auf. Margot setzte sich, ohne ihn anzusehen. Sie weinte jetzt schon.
    Graham schlurfte in die Küche. »Du bist kreidebleich. Geht’s dir nicht gut? Komm, ich mache uns einen Tee. Schrecklich, wieso habe ich denn so lange geschlafen? Ich habe von deiner Mama geträumt …«
    Â»Wirklich?« Margot liefen Tränen über die Wangen.
    Er rief ihr von der Küche aus zu: »Sie hat mir gesagt, dass ich mich besser um dich kümmern soll. Was sagst du dazu?«
    Margot sagte nichts. Stattdessen krallte sie die Fingernägel in die Oberschenkel, um nicht zu schreien. Irina bewegte sich auf sie zu und schlang die Arme um ihre Taille.
    Als Graham wieder ins Wohnzimmer kam, sah er ihr Gesicht, stellte das Tablett ab, nahm ihre Hände und fragte ganz sachte:»Was ist denn los, Liebes?«
    Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Ich stand neben ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter.
    Â»Ich glaube, ich bin schwanger, Papa.«
    Ich wandte den Blick ab. Ich konnte und wollte kein zweites Mal mit ansehen,

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