Tagebuch eines Engels
sollen vielleicht einen Kuchen backen?«
Er schnickt die Kippe in die Küchenspüle, legt die Hände flach auf den Tisch, stützt das Kinn darauf ab und sieht mit lächelndem Hundeblick zu ihr auf. »Du bist doch ein kluges Mädchen, du weiÃt genau, was ich meine.«
Sie verdreht die Augen. »Hm, also, ich glaube nicht, dass Sophie es so toll fände, wenn ich mit ihrem Cousin schlafe.«
Er richtet sich auf und holt von hinter seinem Ohr eine weitere Zigarette hervor. Tut, als sei er beleidigt. »Wer hat denn davon geredet?«
»Ich bin ein kluges Mädchen, ich weià schon, was du meintest.«
Kein Lächeln. Sie durchbohrt ihn mit ihrem Blick. Er reiÃt die Augen ganz weit auf. Sie ist noch âne ganze Ecke klüger, als er gedacht hatte.
»Kippe?«
»Gern.«
»Du, Margot?«
»Hm?«
Ich spreche die folgenden Worte stimmlos mit: »Was hältst du davon, wenn wir beide einen langen Spaziergang durch den Park machen?«
Margot inhaliert den Rauch und tut alles, um nicht zu husten. »Hier gibt es keine Parks.«
»Du bist doch ein kluges Mädchen, du weiÃt schon, was ich meine.«
Ich neige mich ihr zu und sage klar und deutlich: »Tuâs nicht.« Aber ich weiÃ, dass es vergeblich ist. Ich habe mir noch nie von irgendjemandem etwas sagen lassen â mit vierzig nicht und mit sechzehn ganz bestimmt auch nicht. Und Hindernisse haben mich auch noch nie von etwas abgebracht â sie forderten mich nur noch mehr heraus. Ich überlegte, was die beste Taktik sei. Das Einzige, was ich in dieser Situation tun konnte, war, Margot machen zu lassen, und wenn alles vorbei war, wenn sie all die schrecklichen Fehler begangen hatte, würde ich mein Bestes tun, um den Trümmerhaufen in etwas Schönes zu verwandeln. Wie zum Beispiel Weisheit.
Gut, ich habe nie Psychologie studiert. Habe nie Freud gelesen. Aber trotzdem wurde mir bei diesem zweiten Durchlauf meines Lebens eines ganz erstaunlich klar. Plötzlich fiel Licht in das Dunkel jener Entscheidung, die ich nie ganz verstehen konnte, die so weitreichende Konsequenzen für mich hatte und von der ich mich nie ganz erholen sollte.
Margot stand nämlich auf Gewalt.
So war es tatsächlich. Sie ertrug die Ohrfeigen und die Tritte, die Beleidigungen und die Lügen, weil sie wusste, dass die Küsse hinterher nur noch süÃer schmeckten, dass seine Versprechungen und romantischen Gesten viel aufregender waren, wenn er sie vorher geschlagen hatte.
Einmal, als Seth mitten in der Nacht am Regenrohr zu Margots Zimmer hinaufgeklettert war und darauf bestand, dass sie ihm zu seinem Auto folgte, heftete ich mich ihnen nur ungern an die Fersen. Sie fuhren zu einer Bar in der nächstgröÃeren Stadt, fünfzehn Kilometer entfernt. Aus dem Radio tönte lautstark Johnny Cash, und Seth brüllte:
»Ich liebe dich, Baby.«
»Ich liebe dich noch mehr, Seth.«
Seth drehte die Musik leiser. »Sicher?«
Margot nickt. »Jeps.«
»Würdest du für mich sterben, Margot?«
»Ja, natürlich!«
Pause.
»Würdest du für mich sterben, Seth?«
Er sieht sie an, ohne zu blinzeln. Seine Augen sind bleigrau. Er lächelt das Lächeln eines Brandstifters.
»Ich würde für dich töten, Margot.«
Ihr wird schwindelig. Ich rutsche nervös auf meinem Stuhl herum.
Weniger als eine Stunde später zerrt Seth sie aus der Bar und schleudert sie gegen eine Mauer. Er bohrt ihr fast den Zeigefinger ins Gesicht.
»Ich habâs gesehen!«
Margot ringt nach Luft. »Was hast du gesehen?«
»Den Typen. Und wie du ihn angeguckt hast.«
»Stimmt doch gar nicht!«
»Lüg mich nicht an!«
Sie hält die Hände vors Gesicht. »Seth ⦠Ich liebe doch nur dich.«
Er scheuert ihr eine. Ziemlich heftig. Dann küsst er sie. Ganz sanft.
Und sie? Sie genieÃt jeden Augenblick dieser miesen Seifenoper. Bizarr.
Ich beriet mich mit Grahams Schutzengel, als Margot unruhig in ihrem Zimmer auf und ab ging, die Finger verknotete, Selbstgespräche führte und überlegte, wie sie es Graham sagen sollte. Grahams Engel Bonnie â seine kleine Schwester â nickte und verschwand. Ich wollte gerade ihre fragwürdige Taktik (einfach verschwinden?) monieren, als sie wieder auftauchte. Sie hatte jemanden mitgebracht: Vor mir stand Irina, etwa dreiÃig Jahre verjüngt, gesund und klaren Blickes
Weitere Kostenlose Bücher