Tagebuch eines Engels
seinem Rücken begrüÃt.
Das war inzwischen ganz normal. Trotzdem wurde sie dieses Mal sauer. Sie war verletzt.
»Wieso hast du mir eigentlich nie von deinem Buch erzählt?«
Kurze Pause. »Hm?« Er drehte sich nicht einmal um.
Unsanft stellte sie die Einkaufstüten auf dem Boden ab. »Dein Buch«, wiederholte sie. »Dein Bestseller. Wieso erfahre ich als Letzte davon? Bei Port Authority weià jeder davon. Ich bin deine Frau.«
Da drehte er sich schlieÃlich um. Und ihr wurde bewusst, dass sie ihm seit mindestens einer Woche nicht mehr in die Augen gesehen hatte.
»Meine Frau«, flüsterte er, als handele es sich um ein Wort in einer fremden Sprache. »Meine Frau.«
Ihre Miene wurde sanfter. Und auf einmal, völlig unvermittelt, brach sie in Tränen aus. »Meine Frau«, sagte Toby noch einmal, stand auf und ging auf sie zu.
»Es tut mir leid«, sagte sie tränenerstickt.
»Mir auch«, sagte Toby und schlang die Arme um sie. Sie entzog sich ihm nicht.
Von da an hörte ich jedes Mal, wenn eine dieser Nachrichten durch meine Flügel kam, brav zu und tat gehorsam, wie mir geheiÃen. Ich stellte keine Fragen â wer, was, wo oder warum schon wieder? Es war einfach unwichtig, ob nun Gott oder ein anderer Engel oder mein eigenes Gewissen der Absender dieser Nachrichten war. Tatsache war: Hätte ich gehorcht und versucht, Margot davon abzuhalten, in den Bus einzusteigen, hätte jener Eisberg, an dem ihre Ehe nun fast zerschellt wäre, umschifft werden können.
Und nicht nur ihre Ehe hatte Schaden genommen. Ich konnte sehen, dass auch Toby ein ganz anderer Mensch geworden war. In seinen Augen lag eine Traurigkeit, die vorher nicht da gewesen war. Er fing an, seinen Kaffee mit Whisky zu trinken. Erst war es nur ein winziger Schluck, dann ein ordentlicher Schuss. Er sah andere Frauen an und dachte: Und was, wenn? Was, wenn ich die falsche Frau geheiratet habe?
Es war unerträglich. Die Erinnerungen an unsere Trennung holten mich schnell und unausweichlich ein, inklusive der Feindseligkeiten und des Betrugs. Und ich dachte, ich sei schuld daran. Ich dachte, ich hätte ihn in den Ehebruch getrieben.
Dabei schwebte über allem noch das Damoklesschwert der Ungewissheit. Ich hatte ihn nämlich nie in flagranti erwischt. Genau genommen hatten sich viele der Gründe, weshalb ich ihn des Ehebruchs verdächtigt hatte, mehr oder weniger in Luft aufgelöst. Es gab zwar keine echten Beweise, aber trotzdem hatte ich nie daran gezweifelt, dass er mit Sonya geschlafen hatte. Und ich hasste ihn dafür.
Kurz nach Theos erstem Geburtstag, als Margot und Toby ihn bei seinen ersten Gehversuchen beobachteten, wurde ihnen klar, dass ihr kleiner, properer Junge nun auch das Wohnzimmerfenster erreichen konnte, das vier Stockwerke über hartem Betonboden lag. Sie zogen um ins West Village, ganz in die Nähe von Tobys alter Bude, allerdings in eine Wohnung, die ungefähr fünf Mal so groà war. Ein dicker Tantiemenscheck für Tobys Buch erlaubte ihnen, die Dinge anzuschaffen, die Margots Vorstellung von Komfort und Sicherheit entsprachen: ein schmiedeeisernes Bettgestell, zu viele Sofas, einen Fernseher und ein Telefon. Es war, als hätte man unter Margots Welt plötzlich ein riesiges Netz ausgebreitet. Endlich fühlte sie sich sicher. Und sie war glücklich.
Und darum waren wir alle glücklich. James, Gaia und ich bildeten unsere eigene kleine Engelfamilie, die über das Margot-Toby-Theo-Trio wachte und dafür sorgte, dass es sich langsam, aber sicher von dem Müllhaufen seiner Vergangenheit entfernte und auf eine vielversprechendere, weniger destruktive Zukunft blickte. Abends schrieb Toby an seinem neuen Buch, und Margot las seine Entwürfe kritisch durch und redigierte sie. Tagsüber gingen sie mit Theo in den Park und brachten ihm die Namen sämtlicher Tiere im Zoo bei. Sie hielten ihn fest, wenn er wegen Sirenengeheul, Schusswechseln oder lautstarken Auseinandersetzungen in der Nachbarwohnung weinte.
Irgendwann gelang es Toby, Margot davon zu überzeugen, ihre eingeschlafene Freundschaft mit Sonya wiederzubeleben.
»Vergiss es, du spinnst wohl! Die hat uns damals hochkantig rausgeschmissen, obwohl wir keine andere Wohnung hatten!«
Toby überlegte kurz, ob er Sonyas gestohlenes Medaillon zur Sprache bringen sollte, biss sich dann aber doch auf die Zunge.
»Gut«, sagte er. »Es ist
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