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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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schwang ihre langen Beine vom Sofa und rutschte näher an Toby heran.
    Â»Nein«, sagte Toby. »Warum?«
    Sonya zuckte mit den Schultern und lächelte. »Toby, du bist ein verheirateter Mann, ich werde dir bestimmt nicht sagen, was du tun sollst. Es ist nur …« Sie sah zur Tür.
    Â»Was?«
    Ihr Lächeln wurde breiter. »Ich habe mich gefragt, wessen Idee es wohl war, mich zum Abendessen einzuladen. Deine oder ihre?«
    Ich konnte mich an diese Bemerkung erinnern, als sei sie fest in meine Neurose hinein verdrahtet worden. Für Margot, die im Flur alles mitbekam, bedeuteten die Fragen, die diese Bemerkung implizierte, neuen Nährboden für ihren Verdacht.
    Toby blinzelte Sonya an. Er war nicht ganz sicher, worauf sie hinauswollte. »Meine.«
    Sonya nickte. »Und was hast du sonst noch so für Ideen, wenn ich fragen darf?«
    Ich sah, wie sie eine Hand an Tobys Bein hochgleiten ließ, kurz vor dem Schritt anhielt und kicherte. Toby legte die Hand auf ihre und drückte sie.
    Â»Son«, sagte er. »Was machst du da?«
    Margot konnte den flirtenden Unterton in Sonyas Stimme sehr wohl heraushören. Sie legte die Hand auf die Türklinke.
    Sonya lehnte sich wieder zurück. »Was glaubst du denn, was ich da mache, Toby? Ist das nicht genau das, was du willst?«
    Ich atmete immer schneller, bis mir schwindelig wurde. Gaia stellte sich neben mich und sagte: Sieh hin, du musst hinsehen, und ich sagte, dass ich nicht konnte. Der an der Tür stehenden Margot ging es genauso. Ein Teil von ihr wollte ins Wohnzimmer platzen, ein anderer Teil wegrennen.
    Also sah ich hin. Toby, sonst immer so schlagfertig, stammelte unverständliches Zeug.
    Â»War das ein ›Ja‹?« Sonya legte ihm Worte in den Mund. Sie zog seine Hand auf ihren Oberschenkel. Er zog sie zurück.
    Und dann war er mit einem Schlag nüchtern. »Hör auf damit, Son.« Er setzte sich aufrecht hin und schüttelte den Kopf. Gaia sah mich sehr ernst an. Er hatte also nicht mit ihr geschlafen?, dachte ich. Nie?
    Sonya lehnte sich lässig gegen die Rückenlehne des Sofas, schlug die Beine übereinander und spielte mit den Rüschen ihres Kleides. »Eins möchte ich aber doch gerne mal wissen«, sagte sie sehr ernst. Toby sah zu ihr auf. »Als du damals gesagt hast, dass du mich liebst – meintest du das ernst?«
    Ich sah, wie Margot im Flur die Hand vor den Mund schlug. Ich beobachtete alles sehr genau.
    Â»Das ist doch schon so lange her …«, murmelte Toby in Richtung seiner Füße.
    Â»Meintest du das ernst?«, bohrte Sonya nach. Regelrecht verzweifelt. Da löste sich Sonyas Engel, Ezekiel, aus seiner Ecke und legte die Hand auf ihre Schulter. In ihrer Frage lag eine Verletzlichkeit, ein Schmerz, der irgendwo jenseits von Toby wurzelte.
    Toby sah zu ihr auf. »Ja.«
    Sie schoss nach vorne, schwang das rechte Bein über ihn, setzte sich auf seinen Schoß und bückte sich, um ihn zu küssen.
    Und selbstverständlich war das der Moment, in dem Margot hereinkam.
    Es war der Moment, in dem die Hölle losbrach.
    Es war der Moment, in dem meine Ehe zu Ende war.

    Margot sorgte dafür, dass Toby am nächsten Morgen seine Sachen packte. Ihr Gefühlsaufruhr wirkte wie eine Festung, die all mein gutes Zureden, alle Entschuldigungen Tobys abwehrte. Also nahm er zunächst das Nötigste mit und übernachtete bei einem Freund. Nach einem Monat übernahm er die Wohnung, weil sein Freund wegzog. Margot war wie betäubt. Ich war am Boden zerstört. Nach einem halben Jahr reichte Margot die Scheidung ein. Als Toby das Schreiben erhielt, riss er einen Spiegel von der Wand und zertrümmerte ihn auf dem Boden. Die Splitter glichen einem Mosaik der Verzweiflung. In jeder Scherbe erschien kurzfristig mein Gesicht und verschwamm dann für immer in seinen Tränen.
    Ihre Trennung brach mir das Herz, aber der Herzschmerz verwandelte sich in schiere Verzweiflung, als ich mich an das bisschen erinnerte, was mir von meinem Leben kurz vor meinem Tod noch im Gedächtnis war. Die Umstände meines Todes waren immer noch nicht geklärt: Gerade lebte ich noch, und am nächsten Tag sah ich auf meine eigene Leiche hinab und plauderte mit Nan im Jenseits. Aber an die Zeit davor erinnerte ich mich mit der Klarheit von Gletscherwasser. Theo war ins Gefängnis gekommen. Lebenslänglich. Und irgendetwas tief in mir fing an, den

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