Tagebuch eines Engels
nur ⦠Es tut mir in der Seele weh, dich so allein zu sehen, verstehst du? Mütter brauchen nun mal ein soziales Netz, das sie unterstützt.« Er hatte mal wieder Oprah geguckt. Er seufzte. »Ich meine halt bloÃ, dass es gut für dich wäre, wenn du etwas weibliche Gesellschaft hättest. Und du und Son, ihr wart doch mal wie â¦Â«
»Wie was?«
»Na, wie Schwestern. Ihr wart doch so . . .« Er verschränkte Mittel- und Zeigefinger. »Richtig eng befreundet, meine ich.«
Ja, dachte ich. Das waren wir. Vor langer, langer Zeit.
Margot bestand darauf, dass Toby bei Sonya anrief. Als sie sich sicher sein konnte, dass Sonya sie nicht abblitzen lassen würde, nahm sie selbst den Hörer in die Hand. Und schlieÃlich schaffte sie es sogar, Tobys vorgeflüsterte Frage nachzusprechen, und sagte: »Du hättest nicht zufällig Lust, zum Abendessen vorbeizukommen?« Margot lieà es mehr wie eine Feststellung denn wie eine Frage klingen, da sie auf keinen Fall betteln wollte.
Ich war auch nicht ganz sicher, ob das eine so gute Idee war. Ich traute dem Braten immer noch nicht. Aber ich tat nichts, um das Treffen zu verhindern, und ich sah den dreien dabei zu, wie sie einen richtig netten Abend miteinander verbrachten. Sie hingen auf den neuen Ledersofas herum und stieÃen auf Tobys Erfolg an, während Theo, inzwischen vier Jahre alt, wie ein Murmeltier schlief. Und ich wartete.
Sonya hatte die letzten beiden Jahre in Paris gelebt. Sie hatte abgenommen, wirkte in ihren schwindelerregend hohen Plateau-Schuhen wie ein Turm und würzte ihre Erzählungen mit französischen Wörtern und den Namen diverser Promis und berühmter Fotografen. Margot wurde zappelig. Sie blickte auf ihr schmuddeliges, löchriges Flohmarkt-Sweatshirt und die an den Knien fast durchgescheuerte Jeans hinunter. Dann sah sie zur langbeinigen Sonya, die von Kopf bis Fuà in Pariser Couture steckte.
Sie ist so schön, dachte Margot.
Vergiss es , hielt ich dagegen. Sie ist magersüchtig und einsam.
Warum kann ich nicht so sein wie sie? Vielleicht hätte Toby besser sie als mich geheiratet.
Und da sah ich es zum ersten Mal. Wie eine ehemalige Magersüchtige, die Fotos von sich selbst aus der Zeit sieht, als sie nicht mehr war als Haut und Knochen, und endlich erkennt: Stimmt. Ich war gar nicht fett. Genau so dachte ich jetzt: Stimmt. Jetzt kapiere ich es. Es war nicht Toby, der mich nicht geliebt hat. Ich selbst war es, die mich nicht geliebt hat.
Also redete ich immer weiter auf sie ein. Toby liebt dich, sagte ich ihr. Doch während Sonya ihre minutiöse Beschreibung der Künstlergemeinde um Montmartre ausschlieÃlich an Toby richtete und alle drei Minuten einen unsichtbaren Fussel von seinem Hosenbein zupfte, sah ich, wie Margot sich immer mehr zurückzog und ihrer Niederlage ergab. Dann ergriff Sonya auch noch Tobys Hand und sagte: »Du musst mir versprechen, dass du mich in Paris besuchen kommst, Tobes, bitte!«
Gaia tat, was sie konnte, um Toby auf Margots Gesichtsausdruck aufmerksam zu machen. Es war eine Weile her gewesen, seit er zuletzt vier Gin Tonics nacheinander getrunken hatte. Darum neigte er sich immer weiter zu Sonya hinüber, versprach ihr, sie in Paris zu besuchen, und riss dann, als wäre das alles nicht schon schlimm genug für Margot, Witze über eine Vergangenheit, die noch vor ihrer Zeit lag. Endlich gelang es Gaia, den Schleier zu durchbrechen, der Tobys Wahrnehmung umwölkte, und appellierte an sein Gewissen. Er sah zu Margot und zog seine Hand aus Sonyas zurück.
»Alles in Ordnung, Schatz?«, fragte er leise.
Verächtlich wandte sie den Blick ab. Im selben Moment schrie Theo.
»Ich geh schon«, sagte Margot und verlieà das Wohnzimmer, um nach ihrem Sohn zu sehen.
Toby war nicht so betrunken, dass er Margots Verstimmung nicht bemerkt hätte. Er wandte sich wieder Sonya zu und hielt sich demonstrativ die Armbanduhr vor die Nase.
»Hey, Sonya, war wirklich schön, dich wiederzusehen, aber jetzt wirdâs langsam spät â¦Â«
Sonya warf ihm einen Blick zu, dann leerte sie ihr Glas in einem Zug. Sie rutschte langsam auf ihrem Sitz nach vorne und sah ihm tief in die Augen.
»Hast du Margot von unserem Gespräch im Imbiss erzählt?«
Margot stand im Flur und hörte, wie mit gedämpfter Stimme ihr Name genannt wurde. Sie blieb vor der Tür stehen und spitzte die Ohren.
Sonya
Weitere Kostenlose Bücher