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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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ich.
    Sie zuckte zusammen. »Der Dämon, der deine Mama umgebracht hat?«
    Â»Du hast gesagt, Mama sei an ihren Schuldgefühlen gestorben.«
    Â»Hat Grogor auch erwähnt, was der Preis dafür wäre, das Bild zu ändern?«
    Â»Nein.«
    Sie warf die Hände hoch in die Luft. »So etwas hat immer seinen Preis. Und genau darum ändern wir nie mehr als das, wozu wir angewiesen sind: Der Navigator bestimmt den Kurs des Flugzeugs, nicht die Passagiere. Aber das weißt du ja schon. Oder?«
    Ich nickte hastig. »Natürlich, klar. War nur ’ne Frage.«
    Â»Unsere Aufgabe besteht aus vier Teilen: beobachten, beschützen, aufzeichnen …«
    Â»â€¦ lieben«, beendete ich ihren Satz. Ja, das wusste ich alles.
    Â»Nur so aus Neugier«, meldete ich mich nach einer angemessenen Pause wieder zu Wort. »Was ist denn der Preis?«
    Sie kniff die Augen zusammen. »Wieso willst du das wissen?«
    Ich erklärte ihr – so gut ich das jemandem erklären konnte, der nicht in der schier unerträglichen Lage war, sein eigener Schutzengel zu sein und nonstop bis zur Selbstzerfleischung zu bereuen, zu bereuen, zu bereuen –, dass es ganz einfach Dinge in meiner Vergangenheit gab, die ich gerne besser angepackt hätte. Und dass ich mir etwas Besseres für Theo wünschte. Etwas Besseres als eine lebenslängliche Haftstrafe wegen Mordes.
    Â»Der Preis ist folgender«, sagte sie und streckte mir ihre leere Handfläche entgegen. »Jetzt, in diesem Moment, hast du die Möglichkeit, in den Himmel zu kommen. Es liegt in deiner Hand. Engel sind nämlich nicht nur Diener, musst du wissen. Man gibt uns Arbeit, damit wir beweisen können, dass wir es wert sind, in den Himmel zu kommen. Die meisten von uns haben zu ihren Lebzeiten nicht genug von dieser Arbeit geleistet. Und der Preis ist dieser.« Sie klatschte die andere Hand auf die offene Handfläche der ausgestreckten Hand. »Wenn dein Engeldasein beendet ist, wirst du nicht in den Himmel kommen.«
    Ich fing an zu weinen. Ich erzählte ihr, dass ich Toby liebte, aber dass Margot die Scheidung eingereicht hatte. Womit eine Versöhnung mit Toby ja wohl ausgeschlossen war.
    Sie seufzte. »Ich habe das auch schon mal durchgemacht. Habe tausend Fragen gestellt, mir Vorwürfe gemacht, Verluste erlitten. Du wirst Gott sehen. Du wirst den Himmel sehen. Und im Himmel ist kein Platz für anderes als Freude. Denk dran.«
    Aber jedes Mal, wenn ich die Sehnsucht und den Schmerz in Tobys Gesicht sah, wenn er Theo abholte, jedes Mal, wenn ich Margots Träume von einem Leben an Tobys Seite sah, wie sie weinte und wie ihr Hass gegen Toby sich angesichts seines Verrats immer tiefer in ihr Herz grub, klangen mir Grogors Worte in den Ohren. Bis die Lügen, die hinter ihnen hervorschienen, vollkommen verblassten.

    Sind wir uns je der entscheidenden Augenblicke unseres Lebens bewusst? Jener Augenblicke, die sich in unser Leben pressten und für immer Abdrücke darin hinterließen? Wären wir jemals in der Lage, diese Momente auszumachen, selbst wenn wir zurückkehren und unser Leben noch einmal leben könnten, selbst wenn wir sämtliche kritischen Momente aneinanderreihen könnten wie die Verdächtigen einer Straftat – würden wir sie identifizieren können? Ja, Sir, es ist der Verdächtige mit der scharfen Bemerkung. Ja, genau, Herr Kommissar, er ist es – der, der meinem Vater so ähnlich sieht. Aber natürlich erkenne ich ihn wieder – das ist der, der mein Leben in die Gosse gesteuert hat.
    Ich hatte den Versuch aufgegeben, die entscheidenden Momente meines Lebens als solche zu erkennen. Margot war Margot, und ich konnte nur das tun, was meine ursprüngliche Aufgabe gewesen war. Es war der letzte, aber wichtigste Teil meiner Mission, der mir so unendlich schwerfiel – Margot zu lieben. Sie machte es mir weiß Gott nicht leicht.
    Nur ein Beispiel:
    Margot macht sich fertig, um zur Arbeit zu gehen. Und sie hat kolossale Lust auf einen Drink. Sie holt die Flasche hinter dem Kamin hervor und schleudert sie gegen die Wand. Sie ist leer. Überall Glassplitter. Theo wacht auf. Er ist bereits spät dran, er muss zur Schule. Er ist sieben. Von seinem Vater hat er die sanften Augen und die roten Haare geerbt. Von seiner Mutter das Temperament: In null Komma nichts wütend und genauso schnell wieder ganz sanft. Er vergöttert seinen Vater. Er

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