Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
Vom Netzwerk:
einem anderen Mann dabei half, einen schweren Leichensack herauszuhieven. Als der Leichensack zuckte, zog Theo die Waffe, zielte darauf und feuerte los.
    Der Panzer, den er entwickelt hatte, war nicht mehr einfach nur eine zweite Haut: Er hatte ihn in eine lebendige Waffe verwandelt.
    Was hätten Sie getan? Hätten Sie sich darum geschert, wie hoch der Preis dafür ist, das zu verhindern?
    Ich ging hinaus in die frische Nachtluft, ging bis ganz nach oben aufs Dach des Gebäudes und rief Grogor.
    Sofort traten seine Füße aus dem Schatten. Mit feierlicher Miene trat Grogor hervor und sah mich aus messerscharfen Augen an.
    Â»Und, warum?«
    Â»Was warum?«
    Â»Warum hast du es dir anders überlegt?«
    Ich starrte ihn an. »Ich muss noch mal Margot sein. Nur so lange, bis ich einiges in Ordnung gebracht habe. Du bestimmst den Preis.«
    Â»Ich bestimme den Preis? Bin ich Geschäftsmann, oder was?«
    Â»Du weißt, was ich meine.«
    Er kam näher. So nah, dass ich die Adern an seinem Hals sehen konnte. So nah, dass ich die von seinen Wangenknochen ausgehenden Lachfältchen erkennen konnte. Wie bei einem richtigen Menschen.
    Â»Ich glaube, das Wort, das du suchst, lautet ›Bedingungen‹. Um gerade so lange wieder sterblich zu werden, wie es dauert, bis du alles Nötige erledigt hast, musst du einen Stöpsel in die beiden Dinger da stecken.« Er zeigte auf meine Flügel.
    Â»Und wie macht man das?«
    Er hielt sich eine Hand vor die Brust und verneigte sich tief. »Es wäre mir eine solche Ehre. Sie müssen versiegelt werden, oder anders gesagt, sie müssen vom Fluss abgeschnitten werden, der ewig vor Gottes Thron fließt, damit Gott nicht sehen kann, was du treibst. Und so bekommst du die Gelegenheit, das zu ändern, was geändert werden muss. Verstanden?«
    Â»Komm schon, Grogor. Was noch?«
    Er tat erstaunt und nichtsahnend. Ich fixierte ihn. Er wich meinem Blick aus und zuckte mit den Schultern.
    Â»Je nachdem, wie du es siehst, besteht ein gewisses Risiko.«
    Â»Und das wäre?«
    Er wartete kurz. »Was, glaubst du wohl, würde Gott davon halten, wenn einer seiner Engel gegen die Regeln verstieße?«
    Â»Wahrscheinlich gar nichts. Wahrscheinlich würde er mich nicht bei sich haben wollen. Ich käme also vielleicht nicht in den Himmel.«
    Er klatschte langsam Beifall. »Du kommst also vielleicht nicht in den Himmel.«
    Aber Theo schließlich auch nicht.
    Warum sollte ich also noch zögern?

– 22 –
    SIEBEN TAGE
    Aschenputtel legte ihre Lumpen ab und schlüpfte in das Ballkleid – ich legte mein blaues Kleid ab und schlüpfte in die Zeit.
    Ich ließ zu, dass Grogor einige Handvoll heißen Teers aus den Kesseln der Hölle auf meine Flügel schmierte, und als das Wasser aufhörte zu fließen und ich begann zu fühlen, schrie ich laut auf. Der heiße Teer schmerzte, und ich zitterte, weil die nasse Kälte der Badezimmerfliesen mir über die nackten Füße in den Körper kroch, und ich taumelte, weil mich mein eigenes Körpergewicht überraschte – als habe man aus großer Höhe einen Elefanten auf mich plumpsen lassen.
    Ich bewegte mich also nicht ganz so anmutig wie Aschenputtel. Aber ich hinterließ einen gläsernen Schuh. Oder zumindest schrumpfte mein blaues Kleid, kaum dass ich es ausgezogen hatte, zu einem kleinen blauen Edelstein zusammen. Den versteckte ich in Margots Kommode. In dem Moment war ich bereits ein Spion in der Welt der Menschen. Ich musste alles verstecken, was ein Hinweis darauf sein könnte, was ich getan habe, bis ich das erreicht hatte, was ich erreichen wollte. Nämlich mich mit Theo zu versöhnen und seine Wunden zu heilen. Vielleicht ging ich die Sache mit einer naiven Arroganz an. Aber ich glaubte fest daran, dass ich trotz meines kläglichen Versagens als Mutter beim ersten Versuch jetzt bei einem zweiten Versuch in der Lage sein würde, seine Schmerzen mit dem Balsam mütterlicher Liebe zu lindern. Und dass ich gleichzeitig langfristig etwas bewirken könnte, indem ich Margot bewusst machte, wie sehr er sie brauchte, und sie dazu brachte, zu erkennen, wie verletzlich er war und wie sehr er litt.
    Ich hatte den Zeitpunkt sehr sorgfältig gewählt. Ich sah dabei zu, wie Margots Scheidungsanwalt ihr riet, sich vier Wochen in eine Entzugsklinik zu begeben, um dem Richter zu beweisen, dass sie der Verantwortung als

Weitere Kostenlose Bücher