Tagebuch Eines Vampirs 04. In Der Schattenwelt
frustrierende Zärtlichkeit der letzten sechs Monate, all die Gefühle, die er in seinem Herzen so lange verschlossen gehalten hatte, strömten nun heraus und drohten, sie beide zu überwältigen. Nur eine winzige Bewegung, und er hielt Elena in seinen Armen. Einen Engel, kühl und berauschend vor Leben und Schönheit. Ein Wesen aus Feuer und Luft. Sie zitterte in seiner Umarmung, dann, die Augen noch immer
geschlossen, hob sie die Lippen. An diesem Kuß war nichts beherrscht. Er schlug Funken auf Stefans Nerven und löste alles um ihn herum in Nichts auf. Stefan merkte, daß er die Selbstbeherrschung verlor. Diese eiserne Disziplin, an der er so hart gearbeitet hatte, seit er Elena verlor. Alle Knoten in ihm lösten sich, alle Verhärtungen brachen auf, und alle Schleusen wurden geöffnet. Er fühlte seine eigenen Tränen, während er Elena hielt, und versuchte, sie beide zu einem Wesen zu verschmelzen, zu einem Fleisch und einem Geist. So, daß nichts sie jemals wieder trennen konnte. Sie weinten beide, als sie den Kuß beendeten. Elenas schlanke Arme lagen nun um seinen Nacken. Er konnte das Salz ihrer Tränen auf seinen Lippen spüren, und es erfüllte ihn mit Freude. Irgendwie war ihm bewußt, daß es etwas anderes gab, an das er denken sollte. Doch der erste elektrische Kontakt mit ihrer kühlen Haut hatte ihn jeder Vernunft beraubt. Sie standen im Zentrum eines Wirbelsturms aus Feuer, das Universum konnte explodieren, zusammenbrechen oder zu Asche zerfallen. Es war ihm egal. Solange er sie nur beschützen konnte. Aber Elena zitterte. Nicht nur aus dem übermächtigen Gefühl, das ihn schwindlig und trunken machte vor Freude. Nein, vor Angst. Stefan konnte es deutlich spüren. Er wollte sie davor abschirmen, für sie sorgen und alles töten, das es wagte, sie so zu erschrecken. Mit einem Fauchen hob er den Kopf und sah sich um. „Was ist es?“ Er hörte selbst den rauhen, harten Ton des Jägers in seiner Stimme. „Jeder, der versucht, dir etwas anzutun...“
„Nichts kann mich mehr verletzen.“ Sie klammerte sich immer noch an ihn, lehnte sich jedoch zurück, um in sein Gesicht zu sehen. „Ich habe Angst um dich, Stefan. Vor dem, was er dir antun, vor den Bildern, die er dir vorgaukeln könnte...“ Ihre Stimme schwankte. „Oh, Stefan, geh jetzt, bevor er kommt. Er kann dich durch mich finden. Bitte, bitte, geh...“
„Verlang alles andere von mir, und ich werde es tun“, sagte Stefan. Der Killer würde ihn Stück für Stück auseinanderreißen müssen, ehe er sich von Elena trennte. „Stefan, es ist nur ein Traum“, flehte Elena verzweifelt, und neue Tränen flossen ihre Wangen hinunter. „Wir können uns nicht wirklich berühren, nicht wirklich zusammensein. Das ist nicht erlaubt.“
Stefan war es egal. Das alles kam ihm nicht wie ein Traum vor, sondern wie die Wirklichkeit. Und selbst in einem Traum würde er Elena nicht aufgeben, um nichts in der Welt. Keine Macht im Himmel oder auf Erden konnte ihn dazu zwingen...
„Falsch, Sportsfreund! Überraschung!“ meldete sich eine neue Stimme spöttisch zu Wort, eine, die Stefan noch nie gehört hatte. Er erkannte sie jedoch instinktiv als die Stimme des Killers. Ein Jäger unter Jägern. Und als er sich umdrehte, fiel ihm wieder ein, was die arme Vickie, die arme, tote Vickie gesagt hatte.
Er sieht aus wie der Teufel. Wenn der Teufel attraktiv und blond war. Er trug einen ausgebleichten Regenmantel, wie Vickie ihn beschrieben hatte. Schmutzig und zerrissen. Er hätte ein Penner aus einer Großstadt sein können, wenn er nicht so groß und seine blauen Augen so schneidend klar und durchdringend gewesen wären. Sein Haar war fast weiß, es stand gerade von seinem Kopf ab, als sei es von einem eisigen Windstoß hochgeblasen worden. Sein breites Lächeln verursachte Stefan Übelkeit. „Salvatore, nehme ich an.“ Er machte eine übertriebene Verbeugung. „Und natürlich, die schöne Elena. Die schöne, tote Elena. Kommst du, um ihr Gesellschaft zu leisten, Stefan? Ihr beiden seid wie für einander bestimmt. “ Er sah jung aus, zwar älter als Stefan, aber trotzdem jung. Doch das täuschte. „Stefan, geh jetzt“, flüsterte Elena. „Er kann mich nicht verletzen, aber du bist anders. Er kann etwas tun, was dich aus dem Traum verfolgen wird.“
Stefan lockerte seine Umarmung nicht.
„Bravo!“ Der Mann im Regenmantel applaudierte und sah sich um, als wollte er ein unsichtbares Publikum anfeuern. Dabei schwankte er leicht. Wenn er ein Mensch
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