Tagebuch Eines Vampirs 05. Rückkehr Bei Nacht
...
Sein Kiefer und seine Eckzähne schmerzten und sein Mund fühlte sich an, als brenne darin das giftige Harz wie Feuer. Aber all das konnte er ignorieren, denn ein einziger anderer Gedanke verzehrte ihn.
Bonnie hatte fast eine halbe Stunde lang um seine Hilfe gerufen, bevor sie sich der Dunkelheit ergeben hatte.
Das war es, was ausgesprochen werden musste. Was ans Licht gebracht werden musste. Bonnie hatte nach Stefano gerufen - der zu weit fort gewesen war und zu beschäftigt mit seinem Engel -, aber sie hatte auch nach Damon gerufen, und sie hatte ihn um Hilfe angefleht.
Und er hatte es ignoriert. Drei von Elenas Freunden lagen zu seinen Füßen und er hatte ihre Qualen ignoriert, hatte Bonnies verzweifeltes Flehen, sie nicht sterben zu lassen, ignoriert.
Normalerweise hätte ein solches Ereignis nur dazu geführt, dass er in eine andere Stadt umgezogen wäre. Aber irgendwie war er immer noch hier und schmeckte noch immer die bitteren Konsequenzen seiner Tat.
Damon lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück und versuchte, den überwältigenden Geruch von Blut und den modrigen Duft von ... irgendetwas ...
auszublenden.
Er runzelte die Stirn und sah sich um. Der kleine Raum war selbst bis in die Ecken hinein sauber. Nichts Modriges hier. Aber der Geruch wollte nicht vergehen.
Und dann fiel es ihm wieder ein.
KAPITEL ZWÖLF
Es fiel ihm wieder ein, alles: die engen Gänge und die winzigen Fenster und der modrige Geruch von alten Büchern. Er war vor etwa fünfzig Jahren in Belgien gewesen und hatte darüber gestaunt, dass ein englischsprachiges Buch zu einem solchen Thema noch immer existierte. Aber es war dort gewesen, der abgenutzte, fahlbraune Einband ohne jede Spur einer früheren Beschriftung, falls es jemals eine gegeben hatte. In dem Buch fehlten Seiten, sodass niemand jemals den Autor oder den Titel erfahren würde, falls diese Informationen überhaupt jemals darin enthalten gewesen waren. Jedes der in dem Buch aufgeführten »Rezepte« - es waren Zauber- oder Bannsprüche - enthüllte und erforderte geheime Kenntnisse.
Damon konnte sich noch gut an das Einfachste davon erinnern: »Das Blut des Samphirs oder Vampirs ist recht gut als allgemeines Heilmittel für alles Übel und Unheil, so diejenigen stiften, welche an Mondspier in dem Walde tanzen.«
Diese Malach hatten im Wald gewiss Unheil gestiftet, und es war der Monat des Mondspiers, der Monat der »Sommersonnenwende« in der Alten Sprache. Damon wollte Bonnie nicht im Stich lassen, und er wollte gewiss nicht, dass Elena sah, was er als Nächstes tun würde. Während er noch immer Bonnies Kopf über dem warmen, rötlichen Wasser stützte, öffnete er sein Hemd. An seiner Hüfte befand sich in einer Scheide ein Messer aus Eisenholz. Er nahm es heraus und fügte sich mit einer einzigen schnellen Bewegung einen Schnitt am Halsansatz zu.
Jetzt hatte er jede Menge Blut. Das Problem war, wie er Bonnie dazu bekommen sollte, es zu trinken. Er schob den Dolch zurück in die Scheide, hob sie aus dem Wasser und versuchte, ihre Lippen auf den Schnitt zu drücken.
Nein, das war dumm, dachte er mit ungewohnter Selbstkritik. Sie wird wieder auskühlen und du hast keine Möglichkeit, sie zum Schlucken zu bringen. Er ließ Bonnie wieder ins Wasser gleiten und dachte nach. Dann zog er das Messer abermals heraus und machte einen weiteren Schnitt; diesmal an seinem Handgelenk. Er folgte der Vene, bis das Blut nicht nur tröpfelte, sondern stetig floss. Dann legte er das Handgelenk auf Bonnies emporgewandten Mund und hielt dabei mit der anderen Hand Bonnies Kopf im richtigen Winkel. Ihre Lippen waren halb geöffnet, und das dunkelrote Blut floss wunderschön. In regelmäßigen Abständen schluckte sie. Es war noch Leben in ihr.
Es fühlt sich so an, als fütterte ich ein Vogelbaby, dachte er, ungeheuer erfreut über sein Erinnerungsvermögen, seinen Einfallsreichtum und - nun ja, einfach über sich selbst.
Er lächelte strahlend ins Leere.
Wenn es nur funktionierte!
Damon veränderte seine Position ein wenig, um es bequemer zu haben, und stellte das warme Wasser wieder an, und die ganze Zeit über hielt er Bonnie fest und gab ihr zu trinken, und das alles - das wusste er - anmutig und ohne eine einzige vergeudete Bewegung. Es machte ihm Spaß. Es sprach seinen Sinn für Ironie an. Genau hier, genau jetzt trank nicht etwa ein Vampir von einem Menschen, sondern ein Vampir versuchte, einen Menschen vor dem sicheren Tod zu retten, indem er ihm Vampirblut
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