Tagebuch Eines Vampirs 05. Rückkehr Bei Nacht
dieser Situation alleinzulassen ... und nachdem sie all ihre früheren Kräfte verloren hatte ...
Deine eigene Schuld, dachte sie und brachte die Flut von Selbstmitleid zum Verebben. Du warst diejenige, die auf dem Thema Brüderlichkeit herumgeritten ist. Du warst diejenige, die ihn davon überzeugt hat, dass man Damon vertrauen konnte. Jetzt lebe mit den Konsequenzen.
»Damon«, begann sie, »ich habe nach dir gesucht. Ich wollte dich - nach Stefano fragen. Du weißt ja, dass er mich verlassen hat.«
»Natürlich. Ich glaube, die Lesart war: zu deinem eigenen Wohl. Er hat mich zu deinem Leibwächter bestellt.«
»Dann hast du ihn in der Nacht vor zwei Tagen gesehen?«
»Natürlich.«
Und - natürlich - hast du nicht versucht, ihn aufzuhalten. Die Dinge hätten sich für dich gar nicht besser entwickeln können, dachte Elena. Sie hatte sich noch nie so sehr die Fähigkeiten zurückgewünscht, die sie als Geist besessen hatte - nicht einmal als ihr klar geworden war, dass Stefano wirklich fort und aus ihrer allzu menschlichen Reichweite verschwunden war.
»Nun, ich werde ihm nicht einfach so gestatten, mich zu verlassen«, sagte sie entschieden, »sei es zu meinem eigenen Wohl oder aus irgendeinem anderen Grund. Ich werde ihm folgen - aber zuerst muss ich wissen, wo er hingegangen sein könnte.«
»Du fragst mich?«
»Ja. Bitte. Damon, ich muss ihn finden. Ich brauche ihn. Ich ...« Ihre Kehle schnürte sich zusammen und sie musste sich beherrschen, nicht in Tränen auszubrechen.
Aber genau in diesem Moment wurde ihr klar, dass Matt ihr ganz leise etwas zuflüsterte. »Elena, hör auf. Ich glaube, wir machen ihn nur böse. Sieh dir den Himmel an.«
Elena spürte es selbst. Der Kreis von Bäumen schien sich um sie herum zu schließen, dunkler als zuvor und bedrohlich. Elena hob langsam den Kopf und blickte auf. Direkt über ihnen sammelten sich graue Wolken, die sich übereinander türmten, Zirruswolken und Kumuluswolken - zusammengeballt direkt über der Stelle, an der sie standen.
Auf dem Boden bildeten sich kleine Wirbelwinde, die herabgefallene Tannennadeln und frische, grüne Sommerblätter von Setzlingen in die Luft hoben.
Sie hatte noch nie zuvor etwas Derartiges gesehen, und es erfüllte die Lichtung mit einem süßen, aber sinnlichen Geruch, der an exotische Öle und lange, dunkle Winterabende erinnerte.
Dann sah sie Damon an, während die Wirbelwinde höher stiegen und der süße Duft sie einhüllte, harzig und aromatisch, und immer näher kam, bis sie wusste, dass er durch ihre Kleider drang und sich auf ihr bloßes Fleisch legte. In diesem Moment begriff sie, dass sie sich übernommen hatte.
Sie konnte Matt nicht beschützen.
Stefano hat mir in seiner Notiz in meinem Tagebuch gesagt, ich solle Damon vertrauen.
Stefano weiß mehr über ihn als ich, dachte sie verzweifelt. Aber wir wissen beide, was Damon unterm Strich will. Was er immer wollte. Mich. Mein Blut...
»Damon«, begann sie leise - und brach ab. Ohne sie anzusehen, streckte er eine Hand aus, wobei die Innenfläche in ihre Richtung zeigte.
Warte.
»Es gibt da etwas, das ich tun muss«, murmelte er. Er bückte sich, jede Bewegung völlig unbewusst und doch von der effizienten Anmut eines Panthers, und hob einen kleinen, abgebrochenen Ast von etwas auf, das aussah wie ge-wöhnliche Virginia-Kiefer. Abschätzend wedelte er ein wenig damit und wog ihn in der Hand, als wollte er Gewicht und Balance testen. Er sah mehr aus wie ein Fächer denn wie ein Ast.
Elena schaute jetzt Matt an und versuchte, ihm mit den Augen all die Dinge zu sagen, die sie fühlte. Das Wichtigste dabei war, dass es ihr leidtat: leid, dass sie ihn da mit hineingezogen hatte; leid, dass er ihr jemals etwas bedeutet hatte; leid, dass sie ihn in eine Gruppe von Freunden geholt hatte, die so eng mit dem Übernatürlichen verwoben war.
Jetzt verstehe ich ein klein wenig von dem, was Bonnie während dieses letzten Jahres gefühlt haben muss, dachte sie - imstande zu sein, Dinge zu sehen und vorauszusagen, ohne auch nur die geringste Macht zu haben, sie zu verhindern.
Matt riss den Kopf hoch und bewegte sich bereits verstohlen auf die Bäume zu.
Nein, Matt. Nein. Nein!
Er verstand nicht. Ebenso wenig verstand sie. Aber sie spürte, dass die Bäume lediglich wegen Damons Anwesenheit Abstand wahrten. Sollten sie und Matt sich in den Wald hineinwagen; sollten sie die Lichtung verlassen oder auch zu lange dort verweilen ... Matt konnte die Furcht auf ihrem Gesicht
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