Tagebuch Eines Vampirs 06. Seelen Der Finsternis
Aber Jim würde nie wieder einen Ball in einen Korb werfen. Nicht mit seinen verstümmelten Händen.
» Ich werde einfach einen Spaziergang machen«, sagte er.
» Ja«, erwiderte Mrs Flowers. » Aber bitte, mein lieber Matt, sei vorsichtig. Und denk daran, eine Jacke anzuziehen.«
» Ja, Ma’am.« Es war Anfang August, heiß und feucht genug, um in Badehosen spazieren zu gehen. Aber Matt war dazu erzogen worden, kleine alte Damen auf respektvolle Weise zu behandeln– selbst wenn sie Hexen waren.
Dann ging er über einen Schleichweg zum Friedhof hinunter.
Er sichtete ein Versteck, von dem aus er jeden würde sehen können, der in das Dickicht des Alten Waldes ging, während ihn niemand von einem der Wege aus entdecken konnte.
Nachdem er lautlos zu dem Platz seiner Wahl geeilt war, duckte er sich dort hinter die Grabsteine und lauschte ständig auf irgendeine Veränderung im Vogelgezwitscher, die darauf hinweisen würde, dass die Kinder kamen. Aber das einzige Vogelgezwitscher war das heisere Kreischen der Krähen im Dickicht, und er sah niemanden…
…bis er in sein Versteck schlüpfte.
Da schaute er plötzlich in den Lauf einer Waffe, und dahinter in das Gesicht von Sheriff Rich Mossberg.
Die ersten Worte aus dem Mund des Polizisten schienen automatisch zu kommen, als hätte man an der Schnur einer Sprechpuppe gezogen.
» Matthew Jeffrey Honeycutt, ich verhafte Sie hiermit wegen des Verdachts der Vergewaltigung von Caroline Forbes. Sie haben das Recht zu schweigen…«
» Tun Sie das besser«, zischte Matt. » Sehen Sie diese Krähen, die alle gleichzeitig abfliegen? Die Kids kommen in den Alten Wald! Und sie sind schon ganz in der Nähe!«
Sheriff Mossberg war einer derjenigen Menschen, die niemals zu sprechen aufhören, bevor sie fertig sind, daher sagte er gerade: » Haben Sie diese Rechte verstanden?«
» Nein, Sir! Mi ne komprenas, blödes Gewäsch!«
Eine Falte erschien zwischen den Brauen des Sheriffs. » Ist das Italienisch, was Sie da an mir ausprobieren?«
» Esperanto– aber dazu haben wir jetzt wirklich keine Zeit! Dort sind sie– und, oh Gott, Shinichi ist bei ihnen!« Der letzte Satz war nur noch ein kaum hörbares Flüstern, als Matt den Kopf senkte und durch die hohen Gräser am Rand des Friedhofs spähte, ohne sie zu berühren.
Ja, es war Shinichi, Hand in Hand mit einem Mädchen von vielleicht zwölf Jahren. Es kam Matt irgendwie bekannt vor: Es lebte oben in der Nähe von Ridgemont. Wie war noch gleich sein Name? Betsy, Becca…?
Sheriff Mossberg gab ein schwaches, gequältes Ächzen von sich. » Meine Nichte«, wisperte er und überraschte damit Matt, der nicht gedacht hätte, dass der Sheriff überhaupt so leise sprechen konnte. » Das ist tatsächlich meine Nichte, Rebecca!«
» Okay, verhalten Sie sich ganz still und warten Sie«, flüsterte Matt. Hinter Shinichi folgte eine Reihe von Kindern, ganz so, als sei er eine Art satanischer Rattenfänger; sein in roten Spitzen endendes schwarzes Haar leuchtete und seine goldenen Augen lachten im späten Sonnenlicht des Abends. Die Kinder kicherten und sangen– einige von ihnen mit süßen Kindergartenstimmen– eine bemerkenswert verzerrte Version von » Zehn kleine Negerlein«. Matts Mund wurde trocken. Es war eine Qual, sie in den Wald marschieren zu sehen, als beobachte man Lämmer, die in einem Schlachthof auf die Rampe stiegen.
Er musste dem Sheriff zugute halten, dass er nicht versuchte, auf Shinichi zu schießen. Dann wäre tatsächlich die Hölle losgebrochen. Aber gerade als Matt vor Erleichterung den Kopf sinken ließ und die letzten Kinder das Dickicht betraten, riss er den Kopf wieder hoch.
Sheriff Mossberg machte Anstalten aufzustehen.
» Nein!« Matt hielt ihn am Handgelenk fest.
Der Sheriff riss sich los. » Ich muss da rein! Er hat meine Nichte!«
» Er wird sie nicht töten. Sie töten die Kinder nicht. Ich weiß nicht, warum, aber sie tun es nicht.«
» Sie haben gehört, was für einen Dreck er sie gelehrt hat. Er wird eine andere Melodie singen, wenn er in die Mündung meiner halbautomatischen Glock blickt.«
» Hören Sie«, sagte Matt, » Sie müssen mich verhaften, richtig? Ich verlange sogar, dass Sie mich verhaften. Aber gehen Sie nicht in diesen Wald! «
» Ich sehe keinen richtigen Wald«, entgegnete der Sheriff geringschätzig. » Zwischen den Eichen ist kaum genug Platz, damit all diese Kinder sich setzen können. Wenn Sie einmal in Ihrem Leben von Nutzen sein wollen, können Sie sich ein
Weitere Kostenlose Bücher