Tagebuch Eines Vampirs 06. Seelen Der Finsternis
sie nachdenklich an ihrem Tee nippte.
» Zeremonien wofür?«, wiederholte er.
Mit ihrem weichen weißen Haar, dem sanften Gesicht und den verträumten, freundlichen blauen Augen sah Mrs Flowers wie die harmloseste kleine alte Dame der Welt aus. Was sie nicht war. Als gebürtige Hexe und leidenschaftliche Gärtnerin wusste sie über schwarzmagische Kräutergifte ebenso viel wie über weißmagische Heilmittel.
» Oh, um ganz allgemein unangenehme Dinge zu tun«, erwiderte sie bekümmert und starrte auf die Teeblätter in ihrer Tasse. » Sie haben eine gewisse Ähnlichkeit mit den Warm-up-Partys vor einem Footballspiel der Schulmannschaft, um alle in Stimmung zu bringen. Wahrscheinlich lassen sie dabei auch ein wenig Schwarze Magie wirken. Etwas Erpressung und Gehirnwäsche werden auch dazugehören– sie können jedem, der neu dabei ist, einreden, es sei ohnehin zu spät, durch seine Teilnahme allein habe er sich schon schuldig gemacht. Da könne er geradeso gut gleich nachgeben und auch die volle Initiation mitmachen… dergleichen Dinge. Sehr unangenehm.«
» Unangenehm inwiefern?«, ließ Matt nicht locker.
» Das weiß ich wirklich nicht, mein Lieber. Ich bin noch nie selbst dagewesen.«
Matt dachte nach. Es war fast sieben Uhr abends, was bedeutete, dass alle Jugendlichen unter achtzehn zu Hause sein mussten. Achtzehn schien wiederum das höchste Alter zu sein, in dem die Kids besessen wurden.
Natürlich gab es keine offizielle Sperrstunde. Das Büro des Sheriffs schien keine Ahnung zu haben, wie man mit dieser seltsamen Krankheit umgehen sollte, die die jungen Mädchen von Fell’s Church befiel. Sollte man die Erkrankten so erschrecken, dass sie wieder einen klaren Kopf bekamen? Aber die Polizei war selbst verängstigt. Ein junger Sheriff war aus dem Haus der Ryans gerannt, um sich zu übergeben, nachdem er gesehen hatte, wie Karen Ryan ihren Haustieren– Mäusen– den Kopf abgebissen hatte. Und der Sheriff hatte auch gesehen, was sie mit dem Rest von ihnen anstellte.
Sollte man sie einsperren? Die Eltern wollten davon nichts wissen, ganz gleich, wie schlecht sich ihre Kinder benahmen und wie offensichtlich es war, dass sie Hilfe brauchten. Aber diejenigen Kids, die in die Nachbarstadt zu einem Psychiater geschleppt wurden, saßen schicklich da und sprachen gelassen und völlig rational– während der ganzen fünfzig Minuten, die die Sitzung dauerte. Auf dem Rückweg rächten sie sich dann, äfften perfekt alles nach, was ihre Eltern sagten, gaben erschreckend naturgetreu tierische Geräusche von sich und führten in asiatisch klingenden Sprachen Selbstgespräche oder verfielen sogar in das klischeehafte, aber immer wieder erschreckende Rückwärtssprechen.
Weder gewöhnliche Disziplin noch gewöhnliche medizinische Wissenschaft schienen eine Lösung für das Problem der Teenager von Fell’s Church zu sein.
Aber was den Eltern am meisten Angst machte, war das Verschwinden ihrer Söhne und Töchter. Es war zwar längst bekannt, dass die Kinder zum Friedhof gingen, aber immer wenn Erwachsene versuchten, ihnen zu einer ihrer geheimen Versammlungen zu folgen, fanden sie den Friedhof verlassen vor– selbst bis hinunter in die geheime Krypta von Honoria Fell. Die Kinder schienen sich einfach… in Luft aufzulösen.
Matt glaubte, die Lösung dieses Rätsels zu kennen: das Dickicht des Alten Waldes in der Nähe des Friedhofs. Der Alte Wald stand, wie Matt sehr genau wusste, inzwischen vollkommen unter der Herrschaft der Kitsune. Wenn man sich auch nur zwei Schritte in das Dickicht hineinwagte, konnte man vielleicht den Rest seines Lebens mit dem Versuch verbringen, wieder herauszukommen.
» Vielleicht bin ich noch jung genug, um den Kindern unauffällig zu folgen«, sagte er jetzt zu Mrs Flowers. » Ich weiß, dass Tom Pierler mit ihnen geht, und er ist in meinem Alter. Und das Gleiche gilt für diejenigen, die als Erstes besessen wurden: Caroline hat es an Jim Bryce weitergegeben und der an Isobel Saitou.«
Mrs Flowers wirkte geistesabwesend. » Wir sollten Isobels Großmutter um mehr von diesen Shintô-Zaubern gegen das Böse bitten«, meinte sie. » Denkst du, du könntest das tun, Matt? Wir werden uns bald auf eine Belagerung gefasst machen müssen, fürchte ich.«
» Ist es das, was die Teeblätter sagen?«
» Ja, mein Lieber, und sie bestätigen das, was mein armer alter Kopf dazu sagt. Du könntest auch Dr. Alpert darüber informieren, damit sie ihre Tochter und ihre Enkelkinder aus der Stadt
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