Tagebuch Eines Vampirs 06. Seelen Der Finsternis
Arbeit. Elena wünschte, sie hätte sich beruhigen können. Doch trotz dreier Kelche Wein– oder vielleicht wegen dieses Weins– sah sie gewisse Dinge in einem neuen Licht. Aber sie musste sich auf die Mission konzentrieren– und nur auf die Mission. Sie würde alles– alles – tun, sagte sie sich, um den Schlüssel zu bekommen. Alles für Stefano.
Der Weiße Ballsaal roch nach Blumen und war außer von üppigem Grün mit Girlanden aus großen, opulenten Blüten geschmückt. Stehende Arrangements waren so platziert, dass sie einen Bereich rund um einen Springbrunnen zu einer intimen Nische absperrten, in der Paare sitzen konnten. Und obwohl es kein sichtbares Orchester gab, strömte Musik in den Ballsaal und verlangte von Elenas empfänglichem Körper eine Reaktion.
» Ich nehme nicht an, dass du Walzer tanzen kannst«, sagte Damon plötzlich, und Elena wurde klar, dass sie sich mit geschlossenen Augen im Rhythmus der Musik gewiegt hatte.
» Natürlich kann ich Walzer tanzen«, antwortete Elena ein wenig gekränkt. » Wir haben alle Ms Hopewells Tanzkurse in Fell’s Church besucht. Damals war ich ungefähr elf.«
» Ich nehme an, es wäre absurd von mir, wenn ich fragte, ob du mit mir tanzen möchtest«, sagte Damon.
Elena sah ihn an, und sie wusste, dass ihre Augen groß und verwirrt blickten. Trotz ihres tief ausgeschnittenen scharlachroten Kleides fühlte sie sich heute Abend nicht wie eine unwiderstehliche Sirene. Sie war bis jetzt viel zu aufgeregt gewesen, um die in das Tuch eingewebte Magie zu spüren. Magie, von der sie jetzt begriff, dass sie ihr sagte, sie sei eine tanzende Flamme, ein Feuergeist. Abrupt erinnerte Elena sich an gewisse bewundernde Blicke, die man ihr zugeworfen hatte. Und jetzt war Damon auch empfänglich für sie? Obwohl er nicht glaubte, dass sie mit ihm tanzen würde?
» Natürlich würde ich furchtbar gern tanzen«, sagte sie und stellte mit leisem Erstaunen fest, dass ihr zuvor gar nicht aufgefallen war, dass Damon einen tadellosen Smoking trug. Ausgerechnet an dem einen Abend, an dem er sich vielleicht schmutzig machen würde, aber er sah damit aus wie ein Prinz von Geblüt.
Seine Lippen zuckten ein wenig bei dem Titel. Von Geblüt … sehr wohl.
» Bist du dir sicher, dass du Walzer tanzen kannst?«, fragte sie ihn.
» Eine gute Frage. Ich habe 1885 damit angefangen, als dieser Tanz als unschicklich galt. Aber es hängt davon ab, ob du von einem Bauernwalzer sprichst, dem Wiener Walzer oder…«
» Oh, komm schon, sonst verpassen wir noch einen Tanz.« Elena griff nach seiner Hand und spürte winzige Funken, als hätte sie eine Katze gegen den Strich gestreichelt, und zog ihn in die sich wiegende Menge hinein.
Der nächste Walzer begann. Musik flutete in den Raum und hob Elena fast von den Füßen, als sich die kleinen Härchen in ihrem Nacken aufstellten. Ihr Körper kribbelte, als hätte sie ein himmlisches Elixier getrunken.
Es war ihr Lieblingswalzer seit Kindertagen, mit dem sie praktisch aufgewachsen war: Tschaikowskys Dornröschenwalzer. Und ein kindlicher Rest in ihr konnte einfach nicht anders, als die süßen, berauschenden Klänge nach dem donnernden elektrisierenden Beginn mit den Worten der Disney-Film-Version von Dornröschen zu unterlegen:
Ich kenne dich. Ich habe im Traum schon einmal mit dir getanzt.
Wie schon immer trieben sie ihr auch jetzt die Tränen in die Augen; sie ließen ihr Herz singen und weckten in ihren Füßen den Wunsch zu fliegen, statt zu tanzen.
Ihr Kleid war rückenfrei. Damons warme Hand lag auf ihrer nackten Haut.
Ich weiß, flüsterte irgendetwas ihr zu, warum man diesen Tanz ungezügelt und unanständig fand.
Und jetzt fühlte Elena sich ganz gewiss wie eine Flamme. Es war uns bestimmt, so zu tanzen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ob es ein altes Zitat von Damon war oder etwas Neues, das er gerade eben kaum hörbar in ihren Geist flüsterte. Wie zwei Flammen, die sich vereinen und miteinander verschmelzen.
Du bist gut, sagte Damon zu ihr, und diesmal wusste sie, dass er zu ihr sprach und dass es in der Gegenwart geschah.
Sei nicht so herablassend. Ich bin auch ohne dein Lob glücklich!, lachte Elena zurück. Damon war ein Experte, und nicht nur, was die Präzision der Schritte betraf. Er tanzte den Walzer, als sei er immer noch unanständig. Er führte mit einer Entschiedenheit, gegen die Elenas menschliche Stärke natürlich nichts ausrichten konnte. Aber er konnte kleine Signale ihrerseits deuten und erkennen,
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