Tagebuch Eines Vampirs 06. Seelen Der Finsternis
Körper schien vor dieser Idee zurückzuschrecken.
Aber laut sagte er nur: » Da ist etwas, das alle übersehen haben. In Bezug auf die archetypische Geschichte von zwei Brüdern, die einander gleichzeitig getötet haben und Vampire wurden, weil sie in dasselbe Mädchen verliebt waren.«
» Was?«, fragte Elena scharf, so erschrocken, dass sie ihre Müdigkeit vollkommen vergaß. » Damon, wie meinst du das?«
» Wie ich es gesagt habe. Es gibt etwas, das ihr alle übersehen habt. Ha. Vielleicht hat es sogar Stefano übersehen. Die Geschichte wird wieder und wieder erzählt, aber niemand bekommt es mit.«
Damon hatte das Gesicht abgewandt. Elena rückte näher an ihn heran, nur ein klein wenig, sodass er ihr Parfüm riechen konnte, das heute Abend Rosenöl war. » Damon, sag es mir. Sag es mir, bitte! «
Damon machte Anstalten, sich zu ihr umzudrehen…
Und genau in diesem Moment blieben die Träger stehen. Elena hatte nur eine Sekunde Zeit, um sich das Gesicht abzuwischen, dann wurden die Vorhänge aufgezogen.
Meredith hatte ihnen allen die Mythen über Lady Blodwedd erzählt. Alles darüber, dass Lady Blodwedd aus Blumen gefertigt und von den Göttern lebendig gemacht worden war, dass sie ihren Ehemann bis zu seinem Tod betrogen hatte und zur Strafe dazu verdammt war, jede Nacht von Mitternacht bis zum Morgengrauen als Eule zu verbringen.
Und anscheinend gab es etwas, das die Mythen unerwähnt ließen. Die Tatsache nämlich, dass sie auch dazu verdammt war, hier zu leben, verbannt vom Himmlischen Hof in das dunkelrote Zwielicht der Dunklen Dimension.
Alles in allem war es nur logisch, dass ihre Partys schon um sechs Uhr abends begannen.
Elena stellte fest, dass ihre Gedanken von einem Thema zum anderen sprangen. Sie nahm einen Kelch schwarzmagischen Weins von einem Sklaven, während sie die Blicke schweifen ließ.
Alle Frauen und die meisten Männer auf der Party trugen raffinierte Gewänder, die in der Sonne die Farbe wechselten. Elena fühlte sich trotz ihrer scharlachroten Robe sehr züchtig gekleidet– schließlich schien alles außerhalb der Türen rosa oder scharlachrot oder weinfarben zu sein. Nachdem sie ihren Kelch geleert hatte, stellte Elena mit gelinder Überraschung fest, dass sie automatisch in ihr Partyverhalten verfiel und Leute, die sie bereits früher kennengelernt hatte, mit Küsschen auf die Wange und Umarmungen begrüßte, als hätte sie sie schon Jahre gekannt. Währenddessen arbeiteten sie und Damon sich auf das Herrenhaus zu, manchmal mit dem Strom, manchmal gegen den Strom.
Sie stiegen eine steile Treppe aus weißem Mamor hinauf, die– wie ihr Gegenstück in einigem Abstand– durch duftende Blumenbeete führte. Oben blieb Elena aus zwei Gründen stehen. Zum einen stand ihr der Sinn nach einem weiteren Kelch schwarzmagischen Weins. Der erste hatte sie bereits mit einer angenehmen Glut erfüllt. Sie hoffte, dass der zweite Kelch ihr helfen würde, alles zu vergessen, was Damon in der Sänfte zur Sprache gebracht hatte. Bis auf den Schlüssel.
» Ich nehme an, die beste Methode ist es, einfach jemanden zu fragen «, sagte sie zu Damon, der stumm neben ihr stand.
» Was fragen?«
Elena beugte sich ein wenig zu dem Sklaven vor, der sie gerade mit einem frischen Kelch ausstattete. » Darf ich fragen– wo Lady Blodwedds Hauptballsaal ist?«
Der livrierte Sklave wirkte überrascht. Dann deutete er mit einer Neigung des Kopfes um sich herum. » Diese Plaza– unter dem Baldachin– trägt den Namen der Große Ballsaal«, sagte er und beugte sich wieder über sein Tablett.
Elena sah ihn an. Dann schaute sie sich um.
Unter einem riesigen Baldachin– er war behangen mit hübschen Laternen in Farbtönen, die von der Sonne verstärkt wurden– erstreckte sich zu allen Seiten Hunderte von Metern weit ein glatter Rasen.
Der Platz war größer als ein Fußballfeld.
» Eines würde ich gern wissen«, bemerkte Bonnie zu einem anderen Gast, einer Frau, die offensichtlich schon viele Feiern von Lady Blodwedd besucht hatte und sich im Herrenhaus auskannte: » Welcher Raum ist der Hauptballsaal?«
» Oh, meine Liebe, das hängt davon ab, was Ihr meint«, erwiderte die Frau fröhlich. » Da ist der Große Ballsaal im Freien– Ihr müsst ihn gesehen haben– unter dem großen Baldachin? Und dann ist da der Weiße Ballsaal im Haus. Er ist beleuchtet von Kronleuchtern und die Vorhänge rundherum sind zugezogen. Manchmal wird der Raum Walzersaal genannt, da dort nichts anderes gespielt wird
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