Tagebuch Eines Vampirs 06. Seelen Der Finsternis
großer Schmerz, dass sie es nicht ertragen konnte, einfach nur dazusitzen und darüber nachzugrübeln. Wenn sie es weiterhin tat, würde sie vielleicht einfach wahnsinnig werden und Damon anschreien, schneller zu fahren– und Elena mochte innerlich leiden, aber sie hatte keine Selbstmordabsichten.
Zum Mittagessen machten sie in irgendeiner namenlosen Stadt Halt. Elena hatte keinen Appetit, und Damon verbrachte die ganze Pause in Gestalt eines Vogels, was sie aus irgendeinem Grund erbitterte.
Als sie weiterfuhren, hatte die Anspannung im Wagen sich noch mehr gesteigert, bis sich dem alten Klischee unmöglich länger ausweichen ließ: Man kann die Spannung mit einer gefalteten Serviette schneiden, und erst recht mit einem Messer, dachte Elena.
Das war der Moment, in dem sie begriff, um welche Art von Anspannung es sich eigentlich handelte.
Das Einzige, das Damon rettete, war sein Stolz.
Er wusste, dass Elena sich einen Reim auf einige Dinge gemacht hatte. Sie hatte aufgehört zu versuchen, ihn zu berühren oder auch nur mit ihm zu sprechen. Und das war gut. Er sollte sich eigentlich nicht so fühlen. Vampire begehrten Mädchen wegen ihrer hübschen weißen Hälse, und Damons Sinn für Ästhetik verlangte, dass auch der Rest der Spenderin seinen Maßstäben entsprach. Aber jetzt legte bereits Elenas Aura Zeugnis ab von der einzigartigen Lebenskraft in ihrem Blut. Und Damons Reaktion war unwillkürlich. Er hatte seit über einem halben Jahrtausend nicht mehr auf diese Weise an ein Mädchen gedacht. Vampire waren dessen nicht fähig.
Aber Damon war dessen jetzt sogar sehr fähig. Und je näher er Elena kam, um so stärker wurde ihre Aura um ihn herum und um so schwächer seine Selbstbeherrschung.
Dank all den kleinen Dämonen in der Hölle war sein Stolz stärker als das Verlangen, das er verspürte. Damon hatte niemals im Leben irgendjemanden um irgendetwas gebeten. Er bezahlte für das Blut, das er von Menschen nahm, mit seiner eigenen speziellen Währung. Mit Freude und Fantasien und Träumen. Aber Elena brauchte keine Fantasien, wollte keine Träume.
Wollte ihn nicht.
Sie wollte Stefano. Und Damons Stolz würde ihm niemals gestatten, Elena um das zu bitten, was er allein begehrte, und gleichermaßen würde sein Stolz es ihm niemals gestatten, es sich ohne ihre Zustimmung zu nehmen… hoffte er.
Es war noch nicht lange her, da war er eine leere Hülle gewesen, sein Körper eine Marionette der Kitsune-Zwillinge, die ihn dazu gebracht hatten, Elena auf eine Weise wehzutun, die ihm jetzt noch– obwohl er sich nicht mehr daran erinnern konnte– Qualen bereitete. Damon hatte zu dem Zeitpunkt als Persönlichkeit nicht existiert, sein Körper hatte Shinichi gehört und dieser hatte damit gespielt. Und obwohl er es kaum glauben konnte, war die Übernahme so vollständig gewesen, dass seine Hülle jedem Befehl Shinichis gehorcht hatte: Er hatte Elena gefoltert; er hätte sie genauso gut töten können.
Es hatte keinen Sinn, es nicht zu glauben oder zu sagen, es könne nicht wahr sein. Es war wahr. Es war geschehen. Shinichi war so viel stärker, wenn es um die Kontrolle des Geistes ging, und dem Kitsune fehlte die Gleichgültigkeit der Vampire hübschen Mädchen gegenüber– unterhalb des Halses. Außerdem war er zufällig ein Sadist. Er liebte den Schmerz– das heißt, den Schmerz anderer.
Obwohl Damon die Erinnerung daran fehlte, konnte er die Vergangenheit nicht leugnen. Es war zwecklos, sich zu fragen, warum er nicht » erwacht« war, um Shinichi davon abzuhalten, Elena wehzutun. Denn es war nichts von ihm da gewesen, das hätte aufwachen können. Und wenn auch ein einsamer Teil seines Geistes noch immer wegen der Unbegreiflichkeit der unerinnerten Geschehnisse weinte– nun, Damon verstand sich gut darauf, ihn auszublenden. Er würde keine Zeit mit Bedauern vergeuden, sondern war darauf bedacht, die Zukunft zu kontrollieren. Es würde nie wieder geschehen– nur über seine Leiche.
Was Damon wirklich nicht verstand, war der Grund, warum Elena an ihm festhielt. Warum sie sich benahm, als vertraue sie ihm. Von allen Leuten auf der Welt war sie diejenige, die das meiste Recht hatte, ihn zu hassen, anklagend mit dem Finger auf ihn zu zeigen. Aber das hatte sie nicht ein einziges Mal getan, niemals. Sie hatte ihn nicht einmal mit Zorn in den dunkelblauen, goldgesprenkelten Augen angesehen. Sie allein hatte anscheinend verstanden, dass jemand, der so vollkommen von Shinichi, dem Meister der Malach, besessen
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