Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
riss sie die Augen auf und schaute zu Ethan empor. Ihr Gesicht-
sausdruck war verwirrt, aber voller Bewunderung.
Nein!, dachte Matt. Es ist zu früh!
Als hätte er seinen Gedanken erraten, wandte Ethan sich an Matt und
zwinkerte. »Die Kräuter in der Mixtur, die ihr alle getrunken habt, haben
euer Blut verdünnt und beschleunigen euren Stoffwechsel«, erklärte er,
und seine Stimme war so zwanglos und freundlich, als hielten sie in der
Mensa ein Schwätzchen. »Ich war mir nicht ganz sicher, aber es sieht so
aus, als hätte es funktioniert, die Verwandlung zu beschleunigen.« Sein
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Lächeln wurde breiter. »Mein Hauptfach ist nämlich Biochemie.« Ethans
Mund war blutverschmiert, und Matt schauderte, ohne jedoch den Blick
von diesen goldenen Augen abwenden zu können, die seine fixierten.
Vielleicht, dachte Matt zum ersten Mal, überlebe ich das hier nicht.
Sein Magen krampfte sich vor Übelkeit zusammen. Er wollte kein Vampir
werden.
Da die frisch verwandelten Kandidaten schon so bald erwachten,
schwanden seine bis dahin geringen Chancen vollends. Neue Vampire,
das hatte er noch von Elenas Verwandlung in Erinnerung, erwachten
grimmig, vernunftlos, hungrig und jenem Vampir fanatisch ergeben, der
sie erschaffen hatte.
Ethan senkte den Kopf, um erneut in Chloes Hals zu beißen, während
Anna sich mit fließender, unmenschlicher Anmut erhob. Auf der anderen
Seite des Altars begann Henry sich zu regen; sein langes Bein rutschte
rastlos über den Boden.
Matts Kehle brannte von all den feststeckenden Rufen und Schreien,
und er spürte, wie das letzte Fünkchen Hoffnung in ihm erstarb. Es gab
kein Entrinnen.
Plötzlich wurde die Tür am gegenüberliegenden Ende des Raums
aufgestoßen und Stefano rauschte herein.
Ethan blickte überrascht auf, aber noch bevor er oder die anderen Vam-
pire sich rühren konnten, flog Stefano durch den Raum und riss Chloe aus
seinen Armen. Sie fiel flach auf den Boden vor dem Altar und Blut floss an
ihrem Hals hinab. Matt konnte nicht erkennen, ob sie noch atmete, ob sie
sich noch an das Leben als Mensch klammerte oder nicht.
Stefano packte Ethan an seinem langen Umhang und schmetterte ihn
gegen die Wand. Er schüttelte den Vampir so mühelos, wie ein Hund eine
Ratte schütteln würde.
Für einen Moment schöpfte Matt neue Hoffnung. Stefano wusste Bes-
cheid, Stefano hatte ihn gefunden. Stefano würde sie alle retten.
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Doch jetzt rannten die anderen Society-Mitglieder auf Stefano zu, und
ihre langen Roben flatterten hinter ihnen her, als sie sich geschmeidig wie
eine einzige Person bewegten.
Stefano war zweifellos viel stärker als sie. Er schleuderte einen schwarz
gekleideten, wahrscheinlich weiblichen Vampir beiseite – vielleicht
diejenige, die ihm den Kelch gereicht hatte, dachte Matt –, und die
Gestalt segelte quer durch den Raum, als sei sie nicht schwerer als eine
Stoffpuppe. Sie landete als zerknülltes Häufchen an der gegenüberlie-
genden Wand. Mit grimmigem Lächeln fletschte Stefano seine Zähne und
riss die Kehle eines anderen Vampirs auf, der zu Boden fiel und still liegen
blieb.
Aber es waren so viele und Stefano war allein. Nach nur wenigen
Minuten des Kampfes erkannte Matt, dass es hoffnungslos war, und ihm
wurde flau im Magen. Stefano war zwar viel älter und viel stärker als jeder
Einzelne von ihnen, aber zusammen waren sie übermächtig. Der Kampf
drehte sich und sie überwältigten ihn. Ethan war jetzt wieder frei und
strich seinen Umhang glatt und vier andere Vampire drehten Stefano mit
vereinten Kräften die Arme hinter den Rücken. Anna, deren Augen
leuchteten, schnappte bösartig nach ihm.
Ethan griff sich eine Fackel von der Wand hinter ihm und musterte Ste-
fano, während er das Blut auf seinem Handrücken ableckte. »Du hattest
deine Chance, Stefano«, sagte er lächelnd.
Stefano hörte auf, sich zu wehren, und hing schlaff zwischen den Vam-
piren, die ihn weiter an den Armen festhielten. »Warte«, erwiderte er und
schaute zu Ethan auf. »Du wolltest, dass ich mich euch anschließe. Du
hast mich angefleht, mich euch anzuschließen. Willst du mich immer
noch?«
Ethan legte nachdenklich den Kopf schräg und seine goldenen Augen
glänzten. »Ja«, bestätigte er. »Aber wie glaubst du, mich jetzt noch davon
überzeugen zu können, dass du uns tatsächlich beitreten willst?«
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Stefano leckte sich die Lippen. »Lass Matt gehen. Wenn du ihn gehen
lässt, werde ich an seiner
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