Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
vertrauter, weil es um
Elenas Eltern ging, Leute, die er gut gekannt hatte.
»Thomas
und
Elizabeth
fühlten
sich
natürlich
schrecklich
geschmeichelt.«
»Und …«, drängte Elena.
James verschränkte die Finger über dem Bauch und beobachtete sie
unter halb geschlossenen Lidern. »Sie stimmten zu, dass sie ihr Kind,
sobald die Wächter den Zeitpunkt gekommen sahen, abgeben würden.
Die Wächter würden es nehmen und sie würden es nie wiedersehen.«
Elena war plötzlich eiskalt. Ihre Eltern hatten sie in der Absicht gezeugt
und großgezogen, sie wegzugeben ? Sie hatte das Gefühl, als würden ihre
gesamten Kindheitserinnerungen in tausend Scherben zersplittern. Plötz-
lich war James an ihrer Seite. »Atmen Sie«, murmelte er sanft.
Keuchend schloss Elena die Augen und konzentrierte sich darauf, tief
ein- und auszuatmen. Dass ihre Eltern, ihre geliebten Eltern, sie als eine
Art vorübergehendes Projekt betrachtet hatten, war einfach nieder-
schmetternd. Bis jetzt hatte sie nie an ihrer Liebe gezweifelt.
Sie musste die ganze Wahrheit erfahren. »Sprechen Sie weiter.«
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»Ehrlich, das war das Ende meiner Freundschaft mit Ihren Eltern und
das Ende meines Engagements für die Vitale Society«, sagte James und
nahm einen tiefen Schluck von seinem Whiskey-Tee. »Ich konnte nicht
glauben, dass niemand ein Problem darin sah, ein Kind großzuziehen und
dann für immer aufzugeben. Und ich konnte nicht glauben, dass Ihre El-
tern – von denen ich wusste, dass sie liebevolle, intelligente Menschen
waren – einem solchen Plan wirklich zustimmen würden. Wir machten
unseren Abschluss und gingen unserer Wege und ich hörte über zwölf
Jahre lang nichts mehr von ihnen.«
»Sie haben wieder von ihnen gehört?«, fragte Elena leise.
»Ihr Vater hat mich angerufen. Die Wächter hatten sich mit ihnen in
Verbindung gesetzt, um Sie zu holen. Aber Thomas und Elizabeth wollten
Sie nicht mehr gehen lassen.« James lächelte traurig. »Sie liebten Sie zu
sehr. Sie begriffen, dass sie dem Plan der Wächter zu schnell zugestimmt
hatten, ohne sich wirklich bewusst zu sein, worauf sie sich da einließen,
und dass sie ihre Tochter nicht gehen lassen konnten, zumindest nicht
ohne die Gewissheit zu haben, dass es das Beste für sie war. Also hat Tho-
mas mich um Hilfe gebeten, um Sie zu beschützen. Thomas und Elizabeth
wussten, dass ich mich auf dem College an Zauberei versucht hatte.« Er
machte eine bescheidene Handbewegung, als Elena zu ihm aufschaute.
»Nur kleine Zaubereien, und ich hatte meine Versuche zu diesem Zeit-
punkt größtenteils aufgegeben. Aber sie waren so verzweifelt. Also
beschloss ich, mein gesammeltes Wissen wieder auszugraben und ihnen
zu helfen.«
Er hielt inne und sein Gesicht verdüsterte sich. »Bedauerlicherweise
kam ich zu spät. Einige Tage nach unserem Gespräch, noch bevor ich
nach Fell’s Church aufbrechen konnte, kamen Ihre Eltern bei einem
Autounfall ums Leben. Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder nach
Ihnen geschaut, aber es schien nicht so, als könnten die Wächter Sie noch
in die Hände bekommen. Und jetzt sind Sie hier. Ich glaube nicht, dass
das ein Zufall ist.«
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»Die Wächter sind schuld am Tod meiner Eltern«, sagte Elena dumpf.
»Das wusste ich, aber ich hatte keine Ahnung …« Sie versuchte verz-
weifelt, die Geheimnisse ihrer Kindheit zu begreifen. Zumindest waren
ihre Eltern am Ende nicht in der Lage gewesen, sie wegzugeben. Sie hat-
ten sie wirklich geliebt.
»Für gewöhnlich kriegen die Wächter, was sie wollen«, bemerkte
James. »Und ich denke, es gibt einen Grund, warum Sie jetzt in Dalcrest
sind, wo alles für Sie und Ihre Eltern begonnen hat. Ich denke, dass hier
irgendeine Aufgabe auf Sie wartet und dass Sie in den Besitz besagter
Kräfte kommen werden.«
»Eine Aufgabe?«, hakte Elena nach. »Aber ich hatte einmal Kräfte und
die Wächter haben sie mir genommen.« Gnadenlos hatten sie ihr die Flü-
gel und ihre Fähigkeiten geraubt. Würden sie ihr all das zurückgeben,
wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war?
James seufzte und zuckte hilflos die Achseln. »Manchmal offenbaren
sich Pläne auf eine seltsame Art, selbst jene, die von Anfang an vom
Schicksal bestimmt sind«, erklärte er. »Vielleicht sind diese ver-
schwundenen Studenten ein Zeichen. Aber ich weiß es nicht. Wie ich
bereits den Kursteilnehmern angedeutet habe, ist Dalcrest ein Zentrum
übernatürlicher Aktivitäten. Ich gehe
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