Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
ablenken lassen.
Warum diesmal?, fragte Meredith sich plötzlich. Der Gedanke war ihr
zuvor gar nicht gekommen, aber es war das erste Mal, dass jemand in
seinem Wohnheimzimmer überfallen und ermordet worden war und
nicht draußen auf dem Campusgelände. Irgendjemand oder irgendetwas
musste es speziell auf Samantha abgesehen haben.
Meredith sah wieder jene dunkle Gestalt vor ihrem inneren Auge, die
sie gejagt hatte, nachdem diese Studentin überfallen worden war. Die Stu-
dentin, die gesagt hatte, sie habe nichts von der Gestalt erkennen können.
Meredith jedoch erinnerte sich immerhin an das Aufblitzen von etwas
Bleichem, als die Gestalt sich kurz zu ihr umwandte. Helles Haar … War
Samantha gestorben, weil sie dem Killer zu nah gekommen waren?
Ihre Eltern hatten recht. Sie war niemals sicher. Niemand war jemals
sicher. Sie musste härter arbeiten, musste ihren Job machen und jeder
Spur folgen.
Oben in ihrem Zimmer war Bonnies Bett leer. Elena lag auf ihrem ei-
genen Bett und blickte kurz auf. Meredith registrierte flüchtig, dass Elen-
as Gesicht feucht von Tränen war. Normalerweise hätte sie alles stehen
und liegen lassen, um ihre Freundin zu trösten, aber jetzt musste sie sich
darauf konzentrieren, Samanthas Mörder zu finden.
Meredith ging zu ihrem Schrank, öffnete ihn und zog eine schwere
schwarze Tasche und das Samtfutteral mit ihrem Kampfstab heraus.
»Wo ist Bonnie?«, fragte sie, warf die Tasche auf das Bett und öffnete
sie.
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»Sie ist weg, bevor ich aufgestanden bin«, antwortete Elena mit zittri-
ger Stimme. »Ich glaube, sie trifft sich heute Morgen mit einer Lern-
gruppe. Was ist los, Meredith?«
Meredith begann, ihre Messer und Wurfsterne aus der Tasche zu
nehmen.
»Was ist los?«, wiederholte Elena, diesmal beharrlicher, und machte
großen Augen.
»Samantha ist tot«, antwortete Meredith und erprobte mit dem Dau-
men die Schneide eines Messers. »Sie wurde in ihrem Bett ermordet. Von
dem, was auf diesem Campus umgeht. Wir müssen es aufhalten.« Das
Messer könnte schärfer sein. Meredith hatte die Wartung ihrer Waffen
vernachlässigt. Jetzt wühlte sie in der Tasche nach einem Wetzstein.
»Was?«, fragte Elena. »Oh nein, oh, Meredith, das tut mir so leid.«
Wieder rannen Tränen über ihr Gesicht und Meredith schaute zu ihr
hinüber und hielt ihr das Futteral mit dem Stab darin hin.
»In meinem Schreibtisch ist eine schmale schwarze Schachtel mit
kleinen Fläschchen voller verschiedener Giftextrakte«, sagte sie. »Eisen-
hut, Eisenkraut, Schlangengifte. Wir wissen nicht, womit genau wir es zu
tun haben, daher füllst du die Dornen besser mit verschiedenen Giften.
Sei vorsichtig«, fügte sie hinzu.
Elena klappte der Unterkiefer herunter. Nach einigen Sekunden presste
sie die Lippen zusammen, nickte und wischte sich mit dem Handrücken
über die Wangen. Meredith wusste, dass ihre Botschaft – später trauern,
jetzt handeln – angekommen war und dass Elena wie immer mit ihr
zusammenarbeiten würde.
Elena holte den Stab aus dem Futteral, legte ihn auf ihr Bett und fand
die Schachtel mit dem Gift in Meredith’ Schreibtisch. Meredith beo-
bachtete Elena, wie sie sich an die winzigen Dornen, die in das Eisenholz
des Stabs eingelassen waren, herantastete und prüfte, wie man sie mit
Gift füllte. Mit ruhiger Hand zog sie sie heraus und öffnete sie vorsichtig.
Sobald Meredith sicher war, dass Elena wusste, was sie tat, machte sie
sich daran, ihr Messer zu schärfen.
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»Der Täter musste es speziell auf Samantha abgesehen haben. Sie war
kein zufälliges Opfer«, sagte Meredith, den Blick auf das Messer gerichtet,
während sie es rhythmisch über den Wetzstein zog. »Wir müssen wohl
davon ausgehen, dass, wer immer der Täter ist, weiß, dass wir ihn jagen
und dass wir daher in Gefahr sind.« Sie schauderte bei der Erinnerung an
den Leichnam ihrer Freundin. »Samanthas Tod war einfach brutal.«
»Gestern Nacht wären Damon und ich beinah von einem Auto über-
fahren worden«, berichtete Elena. »Zuvor hatten wir versucht, in der Bib-
liothek einer merkwürdigen Sache auf den Grund zu kommen, aber ich
weiß nicht, ob da ein Zusammenhang besteht. Ich konnte den Fahrer
nicht sehen.«
Meredith hielt in ihrer Arbeit inne. »Ich hab dir doch davon erzählt,
dass Samantha und ich jemanden gejagt haben, der eine Studentin auf
dem Campus angegriffen hatte«, sagte sie nachdenklich. »Aber eins habe
ich dir nicht erzählt,
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