Tagebuch für Nikolas
Suzanne. Verdammt, ich bin ein unglaublicher Trottel. Ich müsste sie eigentlich hassen, aber ich kann es nicht.«
»Natürlich kannst du das nicht. Nun, wenigstens hat Matt, dieses dumme Karnickel, einen guten Geschmack bei Frauen«, meinte ihre Mutter und kicherte, wie sie es immer tat. Wenn sie wollte, konnte sie ziemlich böse Scherze machen. Katie war jedes Mal dankbar, dass sie nicht den Humor ihrer Mutter geerbt hatte. Aber ihr war nicht nach Witzen zumute.
Sag es ihr, dachte Katie. Sag ihr alles.
Aber sie konnte es nicht. Sie hatte es ihren beiden besten Freundinnen in New York erzählt - Laurie Raleigh und Susan Kingsover-, doch ihrer Mutter konnte sie nicht erzählen, dass sie schwanger war. Sie brachte es einfach nicht über die Lippen.
Warum eigentlich nicht?, fragte sich Katie. Doch sie kannte die Antwort: Sie wollte ihre Mutter und ihren Vater nicht verletzen. Ihre Eltern bedeuteten ihr zu viel.
Katies Mutter schwieg einen Augenblick. Sie war noch immer Grundschullehrerin in Asheboro und seit dreißig Jahren Katies treue Ratgeberin. Sie war immer, immer für sie da und unterstützte sie, selbst als Katie in das gefürchtete, gehasste New York gezogen war und ihr Vater einen ganzen Monat lang nicht mit ihr gesprochen hatte.
Erzähl es ihr, Katie. Sie wird es verstehen. Sie kann dir helfen.
Doch Katie brachte die Worte einfach nicht über die Lippen. Sie erstickte beinahe daran und spürte, wie ihr die Magensäure hochstieg.
Katie und ihre Mutter unterhielten sich fast eine Stunde lang; dann sprach sie mit ihrem Vater. Sie stand ihm fast so nahe wie ihrer Mutter. Er war Geistlicher und in seinem Sprengel sehr beliebt, weil er »Gottesliebe« statt »Gottesfurcht« predigte. Er war Katie nur ein einziges Mal böse gewesen, als sie ihre Sachen gepackt hatte und nach New York gezogen war. Aber er war darüber hinweggekommen und brachte das Thema in ihrer Gegenwart nie wieder zur Sprache.
So waren ihre Mutter und ihr Vater nun einmal. Gute Menschen. Und so bist du auch, dachte Katie und wusste, dass es stimmte. Ein guter Mensch.
Warum hatte Matt sie dann verlassen? Wie konnte er einfach so aus ihrem Leben verschwinden? Und was sollte ihr das Tagebuch erzählen, dass sie es irgendwie verstand?
Was war das tiefe, dunkle Geheimnis des Tagebuchs? Dass Matt eine kluge, wunderbare Frau und ein schönes, liebes Kind hatte und dass Katie nur ein Ausrutscher gewesen war? Dass er eine Affäre mit einer New Yorkerin gehabt hatte? Dass er zum ersten Mal in seiner Bilderbuchehe vom Weg abgekommen war? Zum Teufel mit ihm! Zum Teufel!
Als Katie das Gespräch mit ihrem Dad beendet hatte, saß sie mit Merlin und Guinevere, ihren guten Gefährten, allein in ihrem Arbeitszimmer. Sie schmuste mit den beiden auf der Couch und schaute aus dem Erkerfenster auf den Hudson. Sie liebte den Fluss und wie er sich jeden Tag veränderte, manchmal auch mehrmals täglich. Dieser Fluss war eine Lektion, wie die Lektion der fünf Kugeln.
»Was soll ich tun?«, flüsterte sie Guinevere und Merlin zu. Tränen liefen ihr aus den Augen und kullerten ihr über die Wangen.
Noch einmal nahm Katie den Telefonhörer. Sie saß da und trommelte nervös mit dem Fingernagel auf den Hörer. Sie musste all ihren Mut zusammennehmen, aber schließlich wählte sie die Nummer.
Sie wollte schon wieder auflegen, wartete dann aber doch ein Klingeln nach dem anderen ab. Schließlich meldete sich der Anrufbeantworter.
Ihr wurde die Kehle eng, als sie tatsächlich die Stimme hörte.
»Hier Matt. Ihre Nachricht ist wichtig für mich. Bitte hinterlassen Sie die Nachricht nach dem Piepton. Vielen Dank.«
Katie hinterließ eine Nachricht. Sie hoffte, dass sie für Matt wirklich wichtig war.
»Ich lese das Tagebuch«, sagte sie. Das war alles.
Komm zu unserer Hochzeit, Nicky!
Dies ist deine Einladung. Ich möchte, dass du genau weißt, wie es an dem Tag war, als deine Mutter und dein Vater einander ihre Liebe versprochen haben.
Der Schnee fiel leise auf die Insel. Die Glocken läuteten in der klaren, kalten, frischen Dezemberluft, während Dutzende von Freunden und Bekannten über die Schwelle der Gay Head Community Church schritten, übrigens die älteste Baptistenkirche des Landes und eine der schönsten noch dazu.
Es gibt nur ein Wort, mit dem man unseren Hochzeitstag beschreiben kann: Freude. Matt und ich waren berauscht, ja schwindelig vor Glück. Ich fühlte mich wie ein Engel in meinem alten weißen Kleid, das mit Hunderten glänzender
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