Tagebuch (German Edition)
aufopfern. Die Engländer dürfen aber nicht in den Niederlanden bleiben, müssen allen besetzten Staaten ihren untertänigsten Dank anbieten, müssen Niederländisch-Indien dem ursprünglichen Eigentümer zurückgeben und dürfen dann, geschwächt und arm, nach England zurückkehren. Ein armer Tölpel, der sich das so vorstellt, und doch müssen viele Niederländer zu diesen Tölpeln gerechnet werden. Was, frage ich, wäre aus den Niederlanden und den benachbarten Ländern geworden, wenn England den so oft möglichen Frieden mit Deutschland unterzeichnet hätte? Die Niederlande wären deutsch geworden, und damit basta!
Alle Niederländer, die nun noch auf die Engländer hinunterschauen, England und die Alte-Herren-Regierung beschimpfen, die Engländer feige nennen, aber doch die Deutschen hassen, müssten mal aufgeschüttelt werden, wie man ein Kissen aufschüttelt. Vielleicht legen sich die verwirrten Gehirne dann in etwas richtigere Falten!
Viele Wünsche, viele Gedanken, viele Beschuldigungen und viele Vorwürfe spuken in meinem Kopf herum. Ich bin wirklich nicht so eingebildet, wie viele Leute meinen. Ich kenne meine zahllosen Fehler und Mängel besser als jeder andere, nur mit dem Unterschied, dass ich auch weiß, dass ich mich bessern will, mich bessern werde und mich schon sehr gebessert habe.
Wie kommt es nur, frage ich mich oft, dass jeder mich noch immer so schrecklich vorlaut und unbescheiden findet? Bin ich so vorlaut? Bin ich es wirklich, oder sind es nicht vielleicht auch die anderen? Das klingt verrückt, ich merke es, aber ich streiche den letzten Satz nicht durch, weil er wirklich nicht so verrückt ist. Frau van Daan und Dussel, meine hauptsächlichen Ankläger, sind beide bekannt als unintelligent und, spreche ich es ruhig mal aus, dumm! Dumme Menschen können es meist nicht ertragen, wenn andere etwas besser machen als sie selbst. Das beste Beispiel sind in der Tat die beiden Dummen, Frau van Daan und Dussel.
Frau van Daan findet mich dumm, weil ich nicht so schrecklich an diesem Übel leide wie sie, sie findet mich unbescheiden, weil sie noch unbescheidener ist, sie findet meine Kleider zu kurz, weil die ihren noch kürzer sind, und darum findet sie mich auch vorlaut, weil sie selbst doppelt so viel bei Themen mitredet, von denen sie überhaupt nichts versteht. Dasselbe gilt für Dussel.
Aber einer meiner Lieblingssprüche ist: »An jedem Vorwurf ist auch etwas Wahres«, und so gebe ich auch prompt zu, dass ich vorlaut bin. Nun ist das Lästige an meiner Natur, dass ich von niemandem so viele Standpauken bekomme und so viel ausgeschimpft werde wie von mir selbst. Wenn Mutter dann noch ihre Portion Ratschläge dazugibt, wird der Stapel Predigten so unüberwindlich hoch, dass ich vor lauter Verzweiflung, je herauszukommen, frech werde und widerspreche, und dann ist das bekannte und schon so alte Anne-Wort wieder da: »Niemand versteht mich!«
Dieses Wort ist in mir, und so unwahr es auch scheinen mag, auch darin ist ein Zipfelchen Wahrheit. Meine Selbstbeschuldigungen nehmen oft so einen Umfang an, dass ich nach einer tröstenden Stimme lechze, die alles wieder zurechtrückt und sich auch etwas aus meinem Innenleben macht. Aber da kann ich leider lange suchen, gefunden ist derjenige noch nicht.
Ich weiß, dass du jetzt an Peter denkst, nicht wahr, Kitty? Es ist wahr, Peter hat mich gern, nicht als Verliebter, sondern als Freund. Seine Zuneigung steigt mit jedem Tag. Aber was das Geheimnisvolle ist, das uns beide zurückhält, verstehe ich selbst nicht.
Manchmal denke ich, dass mein schreckliches Verlangen nach ihm übertrieben war. Aber es ist nicht so. Wenn ich mal zwei Tage nicht oben war, sehne ich mich wieder genauso heftig nach ihm wie zuvor. Peter ist lieb und gut, trotzdem, ich darf es nicht leugnen, enttäuscht mich vieles. Vor allem seine Abkehr von der Religion, seine Gespräche über Essen und noch andere so widersprüchliche Dinge gefallen mir nicht. Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass wir nach unserer ehrlichen Abmachung nie Streit bekommen werden. Peter ist friedliebend, verträglich und sehr nachgiebig. Er lässt sich von mir viel mehr sagen, als er seiner Mutter zugesteht. Er versucht mit viel Hartnäckigkeit, die Tintenflecke aus seinen Büchern zu entfernen und Ordnung in seinen Sachen zu halten. Aber warum bleibt sein Inneres dann innen, und ich darf nie daran rühren? Er ist viel verschlossener als ich, das ist wahr. Aber ich weiß nun wirklich aus der Praxis,
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