Tagebuch (German Edition)
ja dann, dann bekam ich ein so schönes Gefühl, das ich besser nicht zu oft bekommen sollte.
Sonntagabend saßen sie alle am Radio, außer Pim und mir, und lauschten der »unsterblichen Musik deutscher Meister«. Dussel drehte andauernd an dem Gerät, Peter ärgerte sich darüber, die anderen auch. Nach einer halben Stunde unterdrückter Nervosität bat ihn Peter einigermaßen gereizt, das Gedrehe einzustellen. Dussel antwortete in seinem hochmütigsten Ton: »Ich mache das schon richtig.« Peter wurde böse, wurde frech, Herr van Daan stimmte ihm zu, und Dussel musste nachgeben. Das war alles.
Der Anlass war an sich nicht außergewöhnlich wichtig, aber Peter hat sich die Sache anscheinend sehr zu Herzen genommen. Jedenfalls kam er heute Morgen, als ich in der Bücherkiste auf dem Dachboden herumwühlte, und erzählte mir die Geschichte. Ich wusste noch nichts davon. Peter merkte, dass er eine aufmerksame Zuhörerin gefunden hatte, und kam in Schwung.
»Ja, und siehst du«, sagte er, »ich sage nicht schnell was, denn ich weiß schon im Voraus, dass ich nichts richtig rauskriege. Ich fange an zu stottern, werde rot und verdrehe die Worte, die ich sagen wollte, so lange, bis ich abbrechen muss, weil ich die Worte nicht mehr finde.
Gestern ging es mir auch so. Ich wollte etwas ganz anderes sagen, aber als ich mal angefangen hatte, habe ich den Kopf verloren, und das ist schrecklich. Früher hatte ich eine schlechte Gewohnheit, die ich am liebsten jetzt noch anwenden würde: Wenn ich böse auf jemanden war, dann habe ich ihn lieber mit meinen Fäusten bearbeitet, als dass ich mit Worten mit ihm gestritten hätte. Aber ich weiß, dass ich mit dieser Methode nicht weiterkomme. Deshalb bewundere ich dich auch so. Du kannst dich wenigstens richtig ausdrücken, sagst den Leuten, was du zu sagen hast, und bist nicht im Mindesten schüchtern.«
»Da irrst du dich sehr«, antwortete ich. »Ich sage in den meisten Fällen was ganz anderes, als ich mir vorgenommen hatte. Und dann rede ich viel zu viel und zu lange, das ist ein ebenso schlimmer Fehler.«
»Kann sein. Aber du hast den Vorteil, dass man dir nie ansieht, dass du verlegen bist. Du bleibst in Farbe und Form gleich.«
Insgeheim musste ich über diesen letzten Satz lachen. Ich wollte ihn jedoch ruhig weiter von sich selbst sprechen lassen, ließ mir meine Fröhlichkeit nicht anmerken, setzte mich auf den Boden auf ein Kissen, schlug die Arme um die angezogenen Beine und schaute ihn aufmerksam an.
Ich bin riesig froh, dass noch jemand im Haus ist, der genau solche Wutanfälle wie ich kriegen kann. Peter tat es sichtbar gut, dass er Dussel mit den schlimmsten Ausdrücken kritisieren durfte, ohne dass er Angst vor Petzen haben musste. Und ich, ich fand es auch schön, weil ich ein starkes Gefühl von Gemeinschaft empfand, wie ich es früher nur mit meinen Freundinnen hatte.
Deine Anne
Dienstag, 15. Februar 1944
Diese kleine Angelegenheit mit Dussel hatte noch ein langes Nachspiel, und zwar nur durch seine eigene Schuld. Am Montagabend kam Dussel triumphierend zu Mutter, erzählte, dass Peter ihn am Morgen gefragt habe, ob er die Nacht gut verbracht hatte. Er habe noch hinzugefügt, dass ihm die Angelegenheit vom Sonntag Leid tue und er seinen Ausbruch nicht böse gemeint habe. Daraufhin beruhigte ihn Dussel mit der Versicherung, er habe es auch nicht böse aufgefasst. Alles war also in bester Ordnung.
Mutter erzählte mir diese Geschichte, und ich war insgeheim erstaunt, dass Peter sich trotz seiner Versicherungen so erniedrigt hatte.
Ich konnte es dann auch nicht lassen, erkundigte mich bei Peter und erfuhr sogleich, dass Dussel gelogen hatte. Du hättest Peters Gesicht sehen müssen, es hätte sich gelohnt, es zu fotografieren. Empörung wegen der Lüge, Wut, Überlegung, was er tun könnte, Unruhe und noch viel mehr erschienen mit kleinen Zwischenpausen auf seinem Gesicht.
Abends hielten Herr van Daan und Peter Dussel eine gepfefferte Standpauke. Aber so schlimm kann es nicht gewesen sein, da Peter heute in zahnärztlicher Behandlung war.
Eigentlich wollten sie nicht mehr miteinander sprechen.
Mittwoch, 16. Februar 1944
Den ganzen Tag sprachen wir nicht miteinander, wir wechselten nur ein paar belanglose Worte. Es war zu kalt, um auf den Dachboden zu gehen, und außerdem hatte Margot Geburtstag. Um halb eins kam er, um die Geschenke anzuschauen, und blieb viel länger, als nötig gewesen wäre und als er es sonst je getan hätte. Aber nach? mittags
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